Winter, H.: Rezension | Review

 

Der Behaim-Globus zu Nürnberg.

Eine Faksimile-Wiedergabe in 92 Einzelbildern.

Geleitwort von Oswald Muris: Der Erdapfel des Martin Behaim.

Bonn: Ferd. Dümmler 1943. (Ibero-Amerikanisches Archiv. Jahrg. XVII, 1943, Heft 1/2.)

Heinrich Winter

Die Verschiedenheit zwischen dem Titel der Globusreproduktion und dem des Geleitwortes mag zufällig sein. Aber schon rein äußerlich bilden die 24 Blatt Kunstdruckpapier der Globuswiedergabe eine deutliche Sonderung gegen die 8 Blatt Kriegspapier, noch augenfälliger gemacht durch die Verschiedenheit der Formate. Aber auch unabhängig davon lehrt doch schon ein erster Überblick, daß der Ton dieser Publikation auf der photographischen Wiedergabe der restlos abgerollten Oberfläche liegt, einem Verfahren, das völlig neu ist und darum richtungsweisend werden muß für die Reproduktion anderer alter Globen, deren Studium für die Geschichte der Kartographie gleich wichtig ist wie das alter Karten.

Demgegenüber beschränkt sich der Text darauf, eine eingehende Beschreibung und damit dem im Lesen alter Schriften weniger Bewanderten eine Einführung zu bieten. Irgend etwas Neues gegenüber dem bisherigen, insbesondere der überaus gründlichen und objektiven Untersuchung durch Ravenstein 1908, die immer noch das letzte Wort zum Thema Behaim bleibt, war nicht zu erwarten, nachdem selbst die kurze Studie von Kohlhaußen, dem letzten Direktor des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg, keine neuen Quellen zu erschließen vermochte.

Um das Ganze richtig würdigen zu können, ist die Kenntnis der Entstehungsgeschichte der vorliegenden Publikation erforderlich. Schon auf dem Internationalen Geographen-Kongreß Amsterdam 1938 hatte Heinrich Winter die Forderung erhoben, der Bedeutung dieses Kulturdokuments endlich von deutscher Seite durch eine zuverlässige, also photographische und lückenlose Reproduktion gerecht zu werden. Daraufhin wurde ihm anläßlich der für 1942 geplanten Kolumbusehrungen die Leitung der Aufnahmen und die Lieferung des Textes übertragen. Wegen der politischen Lage drosselte dann aber die Regierung alles, was Amerika betraf, ab, und die ursprünglich als Buch geplante Veröffentlichung war nur in Gestalt eines Heftes des Ibero-Amerikanischen Archivs möglich. Bald nach Beginn der Arbeiten in Nürnberg entdeckten jedoch die dortigen nationalsozialistisch Gesinnten, daß Winter für sie "nicht tragbar" war, und setzten seine telegraphische Abberufung durch. Damit fiel der geistige Urheber dieses völlig neuen Verfahrens plötzlich aus. Zwar hatte er vorsorglich eine genaue Arbeitsanweisung für den Photographen ausgearbeitet, die dieser aber nicht innehalten konnte. Das Hauptziel entsprechend den 12 Segmenten alter Globusdrucke die Einzelaufnahmen in ebensoviel Vertikalreihen zu einer Tafel formen zu können, war damit vereitelt, und es ergab sich das zerrissene Bild des vorangesetzten Schemas. Auch die sonstigen Mängel (Unvollständigkeit der Polarzonen, Bruch in der Zählung, Freiflächen usw.) sind darauf zurückzuführen.

Weiter hatte das Ausscheiden des spiritus rector des ganzen Unternehmens, dessen Name nun auch nicht genannt werden durfte, zur Folge, daß er nun auch für den Textteil ausfiel, womit die Publikation ernstlich gefährdet war. Er selbst brachte aber als Ersatz Herrn Prof. Muris in Vorschlag, der dankenswerterweise für kurzfristige Lieferung des Textes einsprang. Damit ist der Maßstab gegeben, der billigerweise an seine Arbeit gelegt werden darf. Das alles zu sagen war notwendig. Denn wenn das Originale und eigentlich Bedeutende der Publikation in der erstmaligen systematischen Abwicklung der Kugeloberfläche auf photographischer Grundlage liegt, dann wird für jeden, der das erkennt, die Frage nach dem geistigen Urheber wichtig.

Die Erläuterung verrät den Fachmann auf dem Gebiet der Globusforschung, und seinen neuen Gedanken, die drei Männer im armenischen Berglande (S. 54) als Marco Polo und seine beiden Oheime ansprechen zu sollen, kann man gerne annehmen. Im einzelnen mögen aber folgende Bemerkungen gestattet sein. Was S. 51 über eine fehlende Gradnetzeinteilung gesagt wird, ist wohl nur ein Mißgriff im Ausdruck, denn der Meridian zeigt die gleiche Gradeinteilung wie der Äquator, und die Linien auf dem Laon-Globus sind nicht Grade, sondern Klimate, die übrigens Behaim auch verzeichnet. - Ebenso kann das, was Verf. auf S. 55 u. 60, vermeintlich Ravenstein folgend, über den Indischen Ozean als Binnenmeer bei Behaim wie Ptolemaeus sagt, nur ein Übersetzungsfehler sein, denn Ravenstein sagt das Gegenteil: "He (Behaim) has rejected (!) the theory of the Indian Ocean being a mare clausum." - Wichtiger aber ist anderes. Obwohl Verf. es nicht ganz an kritischer Haltung fehlen läßt, findet er doch nicht zu bemängeln, daß Behaim die Kongomündung auf dem Wendekreise (23 1/2°) statt auf 6 Grad ansetzt, obwohl 17 1/2 Grad Differenz gewiß keine Kleinigkeit sind. Dagegen verweist er S. 58 auf das große Interesse, mit dem u.a. Hartmann Schedel die Vollendung des Werkes verfolgt hat. Dessen Äußerung (Ravenstein S. 112) ist aber als allgemeine, überdies ganz kurze Beschreibung ohne jedes kritische Wollen und darum völlig belanglos für das, worauf es ankommt, wenn man Behaim nicht überschätzen will. - Weniger offensichtlich, weil erst durch Vergleich mit der weit abseits liegenden Breitenskala zu erkennen, ist die Lage des Monte Nigro mit 37 1/2 statt 15 1/2 Grad, was gar einen Unterschied von 22 Grad ausmacht und an Hand der auf Bild 64 senkrecht verlaufenden Naht einwandfrei festzustellen ist. Noch eine dritte, nicht minder grobe Abweichung von der Wirklichkeit ist vorhanden: Schon am Monte Nigro bricht die Küste hart nach Osten um, und erst am Ende dieser langen Küstenstrecke ist der zweite Pfeiler (als Fahne) vermerkt. Gehört nun diese unmögliche W-O-Küste noch zu der Reise von Behaim, also auf sein Schuldkonto, oder erst zu der von B. Dias, über die ihm dann falsche Informationen zuteil geworden wären? Doch das ist eine Frage mit vielem Für und Wider. (1) Wie dem aber auch sei, die Unklarheit seiner Angaben gerade da, wo er als angeblich qualifizierter Teilnehmer an einer Entdeckungsfahrt Positives hätte bieten können, bleibt eine rechte Enttäuschung, auch genügen die beiden ersten beträchtlichen Fehler vollauf, um unser Urteil über ihn zu revidieren (was längst fällig war). Wenn er wirklich ein seines Meisters würdiger Schüler von Regiomontan war, wenn er dem (bisher ja nur vermuteten, nicht erwiesenen) Auftrage, die noch ungewohnten Breitenmessungen auf der Südhalbkugel aufzunehmen (also viel verantwortungsvoller als der gleichzeitige Auftrag an Vizinho für die Guineaküste auf der Nordhalbkugel), wirklich gewachsen war, dann müsste er das füglich auf seinem Globus unter Beweis stellen. Dieser Beweis schlägt aber gerade ins Gegenteil um!

Wir müssen also darauf verzichten, ihn weiterhin als "Seefahrer" im Sinne von bewährtem Nautiker oder gar als Astronomen zu preisen. Und das der Billigkeit wegen endlich auch von deutscher Seite unumwunden anzuerkennen, wäre die mit der vorliegenden Publikation des Globusses notwendig verbundene Aufgabe gewesen, wenn nicht die erwähnte Störung dazwischengekommen wäre.

Behaim ist zwar eine international bekannte geschichtliche Figur, aber doch von einer erheblichen Problematik umwittert, wissen wir doch bis heute nicht, was ihm - wohlgemerkt: zuerst im Auslande! - zu seinem Ruhm verholfen hat, nicht einmal, um welcher Vedienste willen er am portugiesischen Hofe in so hohem Ansehen stand, daß er zum Ritter des Christusordens gemacht wurde, und warum es nicht von Bestand war, so daß er in Armut sterben mußte. Würden einem nur drei Worte verstattet, so müsste man sagen: Alles ist Kombination! Keiner der zeitgenössischen portugiesischen Chronisten nennt seinen Namen (Hartmann Schedel zählt nicht mit). Wir wissen nur von Barros, der ein halbes Jahrh. später schrieb, daß B. sich gerühmt habe, ein Schüler von Regiomontan zu sein, und (sc. darum) in die Junta aufgenommen wurde. Das ist alles. Von einer Teilnahme an der Expedition von Cão sagt er auch nichts! Von da ab hat die Geschichte - wieder nicht von Deutschland aus! - ihre Legende um ihn gesponnen. Er soll das Astrolabium für den Seegebrauch vereinfacht haben und beauftragt worden sein, die portugiesischen Piloten die Breitenmessung nach Sonnenhöhen zu lehren (Purchas his Pilgrimage), den Portugiesen den Jakobsstab und die Ephemeriden von Regiomontan zugebracht und sie dadurch erst zu ihren Entdeckungen befähigt haben. Aber nichts von alledem ist erwiesen, vieles spricht sogar sehr dagegen. Das Astrolabium an sich war längst bekannt und ist schon 1482 in der portugiesischen Seefahrt bezeugt, der Quadrant gar schon 1462. Der Jakobsstab, schon seit Mitte des 14. Jahrh.s überliefert, wurde erst zwei Jahrh. später in die portugiesische Nautik übernommen. Die berühmten (lateinisch geschriebenen!) Ephemeriden, viel zitiert, aber offenbar wenig gekannt, sind nichts als rein astronomisch-astrologische Jahrbücher ohne besondere Beziehung zur Nautik. Was man seit der Überschreitung des Äquators brauchte, waren Deklinationstafeln für die Sonne, die es aber ebenfalls schon seit langem gab. Zwar hat Regiomontan solche auch lateinisch geliefert (Tabulae directorium, also wieder lateinisch) und zwar als Neuerung einschließlich der Südhalbkugel, aber in einem dicken Bande allgemeiner astronomischer Tafeln, wo sie nur wenige Seiten ausmachen. Aber die Portugiesen haben dessen Zahlenwerte gerade n i c h t übernommen, sondern die von Abraham Zacuto, die, wenn auch erst 1496 gedruckt, doch schon seit 1473 vorlagen.

Auch sonst ist vieles unsicher. Ob die Expedition von d'Ulmo 1487, zu der "ein deutscher Ritter" - Name nicht genannt - die Beteiligung nachsuchte, je gestartet ist, weiß man nicht. Und an dem Tage des Ritterschlags (11.2.85) müßte Behaim eigentlich noch auf der Fahrt gewesen sein. Ende des vorigen Jahrh.s fand man unterhalb der letzten Stromschnelle des Kongo Steine auf denen Diogo Cão die Namen der Hauptteilnehmer verewigt hat - Behaim ist nicht dabei! Hat ihn dieser vielleicht kalt gestellt, weil er versagt hatte? Oder hatte er überhaupt keinen nautischen Auftrag, so daß er nur aus Handelsinteressen mitgesandt wurde? Nach S. Günther wäre er nicht einmal eigentlicher Schüler von Regiomontan gewesen, sondern habe mit diesem vielmehr nur in seinem Elternhause Berührung gehabt. Sicher ist nur, daß er Kaufmann war und auch das Familienarchiv nichts enthält, was irgendwie auf wissenschaftliche Interessen schließen ließe.

Um ihm aber gerecht werden zu können, vergessen wir am besten alles, was ihm das Schicksal an unverdientem Ruhm aufgebürdet hat. Stellen wir auch da, wo er dabeigewesen ist keine besonderen Erwartungen. Dann bleibt er nach wie vor derjenige, der der Welt diesen Globus geschenkt hat, reichhaltiger und größer als viele der späteren. Wir mögen mit einer gewissen Überraschung feststellen, daß er, der doch so viele Seefahrten hinter sich hatte, hinsichtlich der Form von Westafrika die Errungenschaften der Kartographie verleugnet und ganz konventionell auf Ptolemaeus zurückgreift, wie das aber die italienischen Kosmographen noch bis hoch in das 16. Jahrh. hinein auch noch taten, ohne von der längst bekannt gewordenen kartographischen Erschließung Indiens Notiz zu nehmen. Wir brauchen dann auch an der nur für einen Seefahrer befremdlichen Legende im Indischen Ozean , daß dort der Kompaß "nit zeigt" und man "nach dem Astrolabio segeln" müsse, nicht Anstoß zu nehmen, zumal eine ähnliche Bemerkung sich auch bei Waldseemüller findet, sogar an der Guineaküste, also in bekannten Gewässern. Es bleibt dann nur die Frage offen, was Behaim aus der seinem Globus zugrunde gelegten "getrukten mapa" fertig übernommen und was er aus eigenem Wissen hinzugefügt hat. Erst dann ließe sich ein befriedigendes Urteil über seine kosmographischen Kenntnisse abgeben. Eine wichtige Aufgabe der Forschung wird es aber sein, den Spuren nachzugehen, die Hedwig Fitzler (jetzt Kömmerling-Fitzler in Pirmasens) in alten Notariatsakten aufgedeckt und in der "Kolonialen Rundschau" 1936, S.97, bekanntgemacht hat, leider nicht in exakter Form, so daß man die wichtigen Angaben nicht ohne weiteres übernehmen kann. Denn verschiedenes kann so, wie es dargestellt ist, nicht gut in Zivilprozessen festgestellt worden sein, macht vielmehr den Eindruck subjektiver, nicht sehr kritischer Meinungsbildung. In diesen Quellen liegt eine wichtige Möglichkeit für die Aufklärung mancher Zweifel.

Fußnote

(1) Hier nur eine kurze Bemerkung: Will man Behaim bezüglich des falschen Küstenverlaufs entlasten und diesen auf die Dias-Fahrt verrechnen, dann muß es doch sehr befremden, daß sich der Umkehrpassus am Schluß der langen Legende auf den Monte Nigro beziehen soll, obschon doch nachweislich die Expedition bis mindestens zum C. Cross vorgedrungen war, also 6 1/2 Grade weiter nach Süden. Nicht weniger befremdlich wäre es im anderen Falle (Dias), daß dann nicht einmal das lang gesuchte Kap verzeichnet ist, auch nicht als Umkehrpunkt der Name des letzten Pfeilers von Dias, wie bei Henricus Martellus, auf der Cantinokarte und anderen (padram s.giorgi, S. Gregorii usw.). Das beste, wenn auch keineswegs befriedigend, scheint es, die beiden kleinen Legenden am M. Nigro und am O-Punkt als Spezialberichte (Pfeiler!) mit Bezug auf die Cão-Expedition und die lange mittlere Legende als nähere Angabe über den Zweck der Fahrt aufzufassen, dann allerdings bei Behaim keinerlei nautische Aufgaben zu suchen.