Bräunlein 1992

 

Ritter, Seefahrer, Erfinder, Kosmograph, Globusmacher, Instrumentenbauer...
Zum populären Behaim-Bild des 19. und 20. Jahrhunderts

Peter J. Bräunlein

in: Bott, G.; Willers, J. (Hrsgb.): Focus Behaim-Globus. Ausstellungskatalog, 2 Bde., Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Nürnberg, Dezember 1992.

Dokumente, die uns Auskunft über das Leben Martin Behaims geben, sind rar. Was erhalten ist, sind einige Briefe, Rechnungen, verstreute Einträge in den Ratsverlässen, ein Globus und ein Totenleuchter. Daß Behaim den größten Teil seines Lebens fern der Mauern seiner Vaterstadt, auf den Azoren und in Portugal zubrachte und auch dort verstarb, erschwert die Suche nach Lebensspuren dieses Mannes zusätzlich. Nicht nur die Nürnberger Archive schweigen weitestgehend über diese Lebenssphase, auch die portugiesischen verweigern hierzu jede Mitteilung.

Legt man bei der Spurensuche im Falle Behaim die strenge Maxime historischer (und juristischer) Wissenschaft zugrunde, nach der nur solches den Rang einer Tatsache einzunehmen berechtigt ist, was sich auch belegen läßt, dann bleiben nur noch sehr wenige gesicherte Kenntnisse über das, was Behaim wirklich war und getan hat, übrig.

Die Dürftigkeit der Quellenlage hatte allerdings für die Konstruktion des populären Bildes von Behaim, dem "Seefahrer", einen großen Vorteil. Gerade weil vieles im Leben Behaims ungeklärt, gar mysteriös war, konnte sich in diesen "weißen Flecken" der Biographie die "Legende Behaim" frei entfalten. Dieser Prozeß der Legendenbildung und Tradierung ist bis heute nicht abgeschlossen.

Zur "Legende Behaim" gehört eine ganze Reihe von Behauptungen, die zum größten Teil völlig unhaltbar und zum kleineren Teil unbeweisbare Spekulationen sind. Diese Behauptungen, die im Laufe der Zeit in unterschiedlicher Form kombiniert wurden und werden, haben ihre jeweils eigene Entstehungs- und Überlieferungsgeschichte, die im einzelnen jedoch an dieser Stelle nicht ausgeführt werden kann 1.

Die wichtigsten, weil immer wiederkehrenden Behauptungen sind folgende:

1. Behaim hätte als erster die Azoreninseln entdeckt und kolonisiert.

2. Behaim hätte vor Kolumbus Amerika angesteuert und der Ruhm dieser Entdeckung gebühre daher dem Nürnberger.

3. Behaim hätte den südamerikanischen Kontinent umrundet und wäre vor Magellan in die Magellanstraße eingefahren. Gerechterweise sollte daher die Magellanstraße in "Behaim-Straße" umbenannt werden.

4. Behaim sei ein guter Freund des Kolumbus gewesen. Durch Behaim wäre Kolumbus erst auf die Idee gebracht worden, nach Westen zu segeln. Behaim sei daher als "geistiger Entdecker" Amerikas anzusehen.

5. Behaim hätte zusammen mit den Portugiesen den Kongo entdeckt und er wäre darüberhinaus als erster Deutscher an der Küste Namibias, dem späteren Deutsch-Südwestafrika, gelandet.

6. Der lernbegierige und naturwissenschaftlich begabte Knabe Behaim sei bei dem berühmten Mathematiker und Astronomen Regiomontanus in die Lehre gegangen.

7. Behaim hätte nautische Geräte, wie z.B. das Astrolabium, erfunden oder zumindest als erster dieses oder andere Geräte (Jakobsstab, Meteoroskop) nach Portugal eingeführt. Behaim und mit ihm die Nürnberger Instrumentenbaukunst hätten damit maßgeblichen Anteil an den Erfolgen der portugiesischen Entdeckungsfahrten.

8. Behaim wäre für seine Verdienste um navigationstechnische Neuerungen oder wegen seiner Entdeckungsfahrten entlang der westafrikanischen Küste zum Ritter des Christusordens geschlagen worden.

9. Behaim hätte seinen Globus selbst konstruiert und eigenhändig zusammengebaut, bemalt und beschriftet.

10. Behaim hätte durch seine Konstruktion der Erde als Kugel kühn das mittelalterliche Weltbild verändert und wäre so ein Wegbereiter für die neuzeitliche Epoche geworden.

Wissenschaftlich haltbar ist, um es noch einmal zu betonen, keine dieser Behauptungen, von denen manche bis ins 17. Jahrhundert zurückreichen. Obwohl immer wieder von gelehrter Seite gegen solche Übertreibungen argumentiert wurde, zeigen diese eine erstaunliche Zählebigkeit bis zum heutigen Tage.

Es verwundert also nicht, daß vor allem die Nürnberger ihrem, von der Aura solch großartiger Leistungen umstrahlten Sohn stets einen Platz in der ersten Reihe des Pantheons vorbildlicher Altvorderer zuwiesen. Zusammen mit Albrecht Dürer, Veit Stoß, Adam Krafft, Peter Henlein, Willibald Pirckheimer oder Hans Sachs wird er als einer der ganz Großen der ehemals freien Reichsstadt verehrt. Martin Behaim wurde und wird als Identifikationsfigur verstanden und eingesetzt. Behaim erfüllt, modern ausgedrückt, die Funktion eines städtischen Imageträgers. Die Figur Behaim steht für bestimmte, je nach Zeitgeist und Bedürfnislage leicht variierende Tugenden und Wertvorstellungen wie Forschergeist, geniale Erfindungsgabe, Weltoffenheit, technische Innovation und Modernität, internationale Handelsverbindungen u.a.m. Zu bestimmten Zeiten betonte man das Deutschtum Behaims, in anderen Zeiten war Behaim vorwiegend ein Franke, nie vergaß man jedoch, darauf hinzuweisen, daß Behaim vor allem ein gebürtiger Nürnberger sei.

Die Popularisierung und Funktionalisierung Behaims in eben genannter Weise wurde ganz wesentlich im 19. Jahrhundert betrieben. Im Laufe unseres Jahrhunderts bediente man sich je nach Anlaß und Zweck der unterschiedlichen Versatzstücke dieses Behaim-Bildes, ohne im einzelnen neue hinzuzufügen, es ist also vor allem ein Kind des 19. Jahrhunderts.

An einigen ausgewählten Beispielen des 19. und 20. Jahrhunderts möchte ich die Wirkungsgeschichte erläutern und damit auf einige typische Elemente des populären Behaim-Bildes und deren Funktion hinweisen.

 

1847: Eine Lokomotive namens "BEHAIM"

Für die Entwicklung und den Ausbau der "Ludwigs-Süd-Nord-Bahn" wurden für die sogenannte "Schiefe Ebene" zwischen Neuenmarkt, Wirsberg und Marktschorgast bei der Firma Maffei in München fünf Lokomotiven gebaut, die zwischen 1847 und 1850 geliefert wurden. Als dieses fränkische Teilstück der Ludwigs-Nord-Süd-Bahn am 1. November des Revolutionsjahres 1848 eröffnet wurde, galt dieser Streckenabschnitt, die Schiefe Ebene von Neuenmarkt, eisenbahnbautechnisch als ein Weltrekord. Auf einer Steilstrecke mit diesem enormen Steigungsverhältnis (1:45) konnte erstmals eine reguläre Personen- und Güterbeförderung ausschließlich mit Lokomotivkraft bewältigt werden (2). Die Strecke erforderte daher eine leistungsfähige Maschine, die später als "Typ C I" kategorisiert wurde (3). Eine dieser Lokomotiven erhielt den Namen "BEHAIM". Sie wurde 1847 auf der Linie Kulmbach - Hof in Betrieb genommen und blieb bis 1885 im Dienst (Abb. 1).

Warum die Lokomotive "Behaim" genannt wurde, erschließt sich aus dem Vergleich mit anderen Lokomotiven, die 1847/1848 von Maffei fertiggestellt worden waren. Für eine ganze Serie wählte man die Namen von Männern, die man mit Erfindungsgeist und mathematisch-naturwissenschaftlichem Genie in Verbindung brachte: Albrecht Dürer (Maffei, 1847), Peter Henlein (Maffei, 1848), Euler (Maffei, 1848), Leibniz (Maffei, 1848), Regiomontanus (Maffei, 1848). In diese Reihe fügt sich der "Globuserfinder" Martin Behaim ganz "zwangsläufig" ein. Lokomotivbenennungen mit den Namen berühmter Persönlichkeiten aus Forschung und Technik stellten zu jener Zeit allerdings eher die Ausnahme dar. Viel häufiger waren Ortsnamen wie Saale, Spessart, Wörnitz, Hof, Hesselberg oder man neigte zu Tiernamen wie Drache, Adler, Elefant, Greif, Hirsch (1843) oder zu Begriffen aus der Mythologie wie Jason, Medea, Cerberus, Medusa oder auch Aetna und Hades (alle 1861) (4). Meines Wissens wird hier erstmals Behaim mit technischer Innovation in Verbindung gebracht. Man mag diesen Hinweis auf die Lokomotive "Behaim" als Nebensächlichkeit belächeln, doch es sei daran erinnert, welch gewaltige Faszination, aber auch Ängste mit diesen rauch- und feuerspeienden "Ungetümen" verbunden waren. In jedem Fall blieb die zufällige oder absichtliche Begegnung mit jenen "Stahlrössern" fest im Gedächtnis der Zeitgenossen haften und damit sicherlich auch der Name Behaim in Verbindung mit einem Stück imposanter Technik, einer Technik, die damals so augenfällig wie kaum eine andere das Kommen der "modernen Zeiten" signalisierte. Wie erwähnt, war die "Behaim" von 1847 bis 1885 in Betrieb, während einer Periode also, die durch den ersten gewaltigen Schub der Industrialisierung gekennzeichnet war.

 

1861: Ein Sängerfest in Nürnberg

Im Jahr 1861 reisten über das mittlerweile stark erweiterte bayerische Eisenbahnnetz 240 Männergesangsvereine mit über 5.500 Sängern nach Nürnberg, um sich hier zwischen dem 21. und dem 24. Juli 1861 zum zweiten "Großen Deutschen Sängerfest" zusammenzufinden. Solcherart große überregionale Feiern, wie etwa die Schiller-Feier 1859 und das Schützenfest 1862 in Frankfurt standen in direktem Zusammenhang mit den Ereignissen von 1848/49. Man suchte in einem neuen Anlauf nationale Verbrüderung trotz der Rückschläge nach der gescheiterten Revolution. Das in diesen Treffen bekennerhaft zur Schau gestellte nationale Pathos wandte sich gezielt gegen Kleinstaaterei. Nationale Zusammengehörigkeit sollte demonstriert werden und in diesem Sinne fiel auch das Motto des Nürnberger Sängerfestes aus:

"Deutsches Banner, Lied und Wort
Eint in Liebe Süd und Nord."

Daß man sich die Stadt Nürnberg für die Durchführung dieses Sängerfestes aussuchte, war kein Zufall. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war Nürnberg von Schriftstellern wie Wackenroder, Tieck, Brentano und anderen als "romantisch" entdeckt worden. Dies löste in Künstlerkreisen eine Nürnberg-Begeisterung aus, die 1828 in der Feier zur 300. Wiederkehr des Todestages von Albrecht Dürer als einem allgemeinen deutschen Künstlerfest kulminierte. Die Dürerzeit Nürnbergs galt nunmehr als die Blüte altdeutschen Städtewesens schlechthin und die Stadt wurde in der Wahrnehmung der Romantiker zur "Wiege der deutschen Kunst". Es war und blieb die "deutscheste aller deutschen Städte", nach der bekannten Dichtung von Max von Schenckendorf, auch wenn Köln bald ganz ähnlich glorifiziert wurde (5).

Die literarische Stilisierung der Stadt durch Wackenroder und Tieck hatte eine ungemein nachhaltige Wirkung auf Eigen- und Fremdwahrnehmung Nürnbergs. Dieser Einfluß war im gesamten 19. Jahrhundert deutlich spürbar und selbst im ausgehenden 20. Jahrhundert zehrt das "kollektive Nürnberger Bewußtsein" noch immer davon.

Für die nationale Bewegung nach der Mitte des 19. Jahrhunderts war Nürnberg ein "Denkmal des deutschen Bürgerthums während der Blüthe des Mittelalters" geworden. Die Stadt wurde in dieser Zeit zum politischen Symbol und die bemerkenswerte Stadtentwicklung jener Jahre galt als "ein Wahrzeichen" dafür, "daß auch das deutsche Volk neu grünt und blüht und sein kraftvoller Wuchs sich wieder zu einer Krone erschließen will, in welcher das 'heilige römische Reich deutscher Nation' neu aufersteht als das einige deutsche Reich", wie in einer Nürnberg-Schilderung von 1864 zu lesen ist (6).

Vor dem Hintergrund solcher Stimmungslage dürfen wir uns wohl die Inszenierung des Sängerfestes 1861 vorstellen. Nationaler Pathos spielte dabei eine offensichtliche Rolle, doch auch kleinbürgerlich Idyllisches kam zum Ausdruck. Nürnberg nahm dieses Ereignis nationaler Größe zum Anlaß, sich selbst in besonderer Weise in Szene zu setzen. Ein großangelegtes Dekorationsprogramm bezog die gesamte Altstadt einschließlich der Stadttore in das Geschehen ein. Die Stadt, "als Denkmal ihrer selbst" wurde damit zum "Medium des Festgeschehens", wie Norbert Götz es formuliert (7).

August von Kreling, Direktor der Kunstschule Nürnberg, wurde die Leitung des Entwurfs und der Umsetzung des Häuserschmucks übertragen. 19 Maler und Bildhauer aus der Schülerschaft Krelings waren an der Ausführung der Entwürfe beteiligt.

Der Festschmuck war bedeutenden Persönlichkeiten der Vergangenheit, sprich Nürnberger Blütezeit, gewidmet. Man brachte den großformatigen Bilderschmuck an den tatsächlichen oder vermeintlichen Geburtshäusern der berühmten Nürnberger an: Dürer, Pirckheimer, Henlein, Sachs, Stoß, Krafft und natürlich auch Behaim waren auf den Hausdekorationen "zwischen Pathos und Idylle" zu bestaunen. An Handwerkerkultur, kaiserzeitliche und patrizische Vergangenheit sollte erinnert werden, ja man inszenierte in fast ritueller Weise eine Vergegenwärtigung dieser "Großen Zeit": Dürer, Sachs, Behaim und all die anderen ruhmreichen Söhne der Stadt waren für wenige unvergeßliche Tage wieder lebendig geworden. Die Nürnberger und all die angereisten Festgäste konnten in diesen vier Tagen im Juli 1861 gewissermaßen in Tuchfühlung mit ihren glorifizierten Altvorderen treten.

Kollektiv wurde dies während des großen Umzuges am Mittag des zweiten Festtages zelebriert. Der Zug der Sänger bewegte sich durch die Nürnberger Altstadt zur Festhalle auf dem Maxfeld vor dem Laufer Tor (Abb. 2). Euphorisch schildert der Chronist: "In dicht gedrängten Reihen standen zu beiden Seiten des langen Weges unzählige Menschen aus allen Fenstern der prangenden Häuser, aus den zierlichen Chörchen und von den Balkonen herab schauten Nürnbergs reizende Frauen und Töchter. (...) bis zu den Firsten der Dachgiebel hinauf waren Leute wahrzunehmen. Und durch dieses Menschenmeer wandelte der ungeheure Zug, überragt von prächtigen flatternden Fahnen, unter dem Klange von sechs rauschenden Musikchören, umtost von dem brausenden unaufhörlichen Liebeszuruf der Menge, und selbst reichen Gegengruß spendend" (8).

Am Geburtshaus Behaims am Hauptmarkt, direkt an der Hauptstrecke des Festzuges, war eine dreigeteilte Darstellung angebracht. "Erfunden und gemalt" hatte das Behaim-Bild Rudolf Geißler, ein Schüler Krelings und Ludwig Richters (Abb. 3). In einem zeitgenössischen Begleittext wird die Dekoration folgendermaßen beschrieben:

"Oben in hoher Dachstube sitzt Martin Behaim beim Scheine der Lampe vor seinem berühmten Globus im tiefen Studium begriffen. Im Bilde links empfängt ihn im Hafen von Lissabon bei der Rückkehr von seiner afrikanischen Seereise sein Freund Kolumbus. Mitgenommene Negersklaven tragen fremde Vögel, Früchte und Waren der südlichen Zone ans Land. Im Bilde rechts überreicht König Johann II. von Portugal demselben die Insignien des Salvator-Ordens an goldener Kette. Handelsherren aus Nürnberg, in Lissabon ansässig, umgeben als Zeugen den Thron."

Der Text auf dem Mittelteil der Darstellungen lautet:

"Den Erdball hab mit Wissensdrang
Durchforscht ich all mein Leben lang,
Doch zog es voll Begeistrung hin
Nach Westen mir zumeist den Sinn.
Und hab ich nicht mein Ziel erreicht,
Den Weg hab ich zuerst gezeigt" (9).

Das Programm, das hier umgesetzt wird, führt anschaulich und komprimiert jenes Behaim-Bild vor Augen, das sich als populäres bis heute erhalten hat: Behaim, von Forschergeist erfüllt, Seefahrer an den Gestaden Afrikas, geistiger Wegbereiter für die neuweltlichen Entdeckungen, gleichrangig neben Kolumbus und dessen Freund, Ritter des Christus-Ordens.

So wurde Behaim 1861 den zu Begeisterung bereiten Menschenmengen vorgeführt und die Nürnberger haben gelernt, sich für ihren Martin Behaim auf diese Weise begeistern zu lassen. Das Sängerfest blieb nachhaltig im Gedächtnis nicht nur der Nürnberger haften. Ideologisch wurden hier die kulturelle Vergangenheit Nürnbergs, bzw. das, was man sich darunter vorstellte, mit Nationalbestrebungen der Gegenwart verbunden.

In den kommenden Jahrzehnten zeigten sich neue, durch die fortschreitende Industrialisierung bedingte Herausforderungen. Wirtschaftliche, verkehrstechnische, hygienische Probleme mußten gelöst werden und sie bestimmten nun zunehmend das Denken der Menschen.

Im Hinblick auf die Behaim-Rezeption wird auch dies spürbar. Neben dem Behaim-Bild, wie es im Rahmen des Sängerfestes dargestellt wurde, gibt es nun noch ein weiteres, das bereits bei der Lokomotive "Behaim" deutlich wurde, nämlich die Verbindung Behaims mit moderner Technologie. Je nach Anlaß und repräsentativen Bedürfnissen wird bis in unsere Tage die eine oder andere Seite dieses Behaim-Bildes besonders hervorgekehrt und überhöht dargestellt.

 

1890: Ein Denkmal für Martin Behaim

Die Anregung, mit einem Denkmal den Seefahrer Behaim zu ehren, geht auf den damaligen Ersten Bürgermeister Otto Freiherr von Stromer (1831 - 1891) zurück. Es ist die Zeit des umfassenden Stadtwandels, den der Prozeß der Industrialisierung mit sich brachte. Im künstlerisch-kulturellen Bereich war dieser gewaltige Modernisierungsschub begleitet von historischer Rückbesinnung. 1840 wurde das Dürer-Denkmal fertiggestellt. 1870/71 errichtete man das Kriegerdenkmal am Knöpfleinsberg, das für den nunmehr alljährlich zu feiernden Sedanstag eine wichtige Funktion einnahn. 1874 wurde das Hans-Sachs-Denkmal enthüllt. 1889 wurde am Rathausneubau die Statue des Christoph von Kreß, der 1530 auf dem Augsburger Reichstag für Nürnberg die Confessio Augustana unterzeichnete, aufgestellt. 1905 folgte in dieser Reihe noch das Peter Henlein-Denkmal (10).

Mit Entwurf und Planung des Behaim-Denkmals wurde bereits 1884 begonnen. Die Finanzierung sollte aus dem städtischen Kunstfonds erfolgen. Nach Stromers Vorstellung, die im Grundsatz auch nicht verändert wurde, sollte ein Standbild mit zwei flankierenden Figuren, Wissenschaft und Handel, realisiert werden. Es ist aufschlußreich, daß Stromer sich in Sachen Behaim-Denkmal an den Nürnberger Handelsvorstand wandte mit der Bitte, die Kosten für die allegorische Figur des Handels zu übernehmen, denn die Forschungen und Entdeckungen Behaims seien schließlich vor allem dem Nürnberger Handel zugute gekommen (11).

Die Diskussion über Standort, künstlerische Gestaltung und Material beanspruchte sechs Jahre (12). Vorstellbar waren sowohl ein Denkmal aus Carrara-Marmor wie auch aus Bronze. Als Standort dachte man sich die Grünanlagen des Maxfeldes im Nordosten der Stadt, doch auch der Lorenzerplatz, der Obstmarkt und der Fünferplatz waren im Gespräch. Für einen Standort innerhalb der Stadtmauern sprach sich von Anfang an der Nürnberger "Kunstpapst" Friedrich Wanderer (1840 - 1910) aus. Wanderer, Professor für kunstgewerbliches Zeichnen, war Mitglied der Denkmalkommission und konnte über dieses Gremium wesentlich auf die Denkmalsgestaltung Einfluß nehmen. Zwar war es der Bildhauer Johann Rößner, der offiziell mit der Denkmalsgestaltung betraut war, und daher ist auch auf dem Denkmal vermerkt, Rößner hätte es "erfunden und modelliert", doch letztendlich setzte sich Friedrich Wanderer in allen wichtigen Entscheidungen durch.

Wanderer war an einer möglichst historisch treuen Darstellung gelegen, und um diese zu gewährleisten, stellte die Familie Behaim eine Porträtdarstellung zur Verfügung (13). Dieses Porträt, vermutlich ein Werk des 18. Jahrhunderts, ist heute verloren. Doch geht es mit größter Wahrscheinlichkeit auf den Totenleuchter zurück, der 1519 vom Sohn Martin Behaims gestiftet wurde. Die darauf gezeigte Darstellung von Behaim in Harnisch und mit Langhaarfrisur wurde ein Topos. Durch die Jahrhunderte beziehen sich die allermeisten Behaim-Darstellungen auf dieses Vorbild.

Die Denkmal-Gestalt Behaims ähnelt bis ins Detail der Behaim-Darstellung, die Wanderer für das Geburtshaus am Hauptmarkt als Fassadenmalerei entwarf und das 1886 - also bereits vier Jahre vor Fertigstellung des Denkmals - durch den Wanderer-Schüler Eisgruber realisiert wurde (Abb. 4).

1890 endlich wurde das Behaim-Denkmal fertiggestellt. Die Gesamtkosten betrugen 46.000 Mark. Die Familie Behaim stiftete das schmiedeeiserne Gitter und stellte darüberhinaus 3.000 Mark für die aufwendige Festdekoration zur Verfügung (14).

Im Ergebnis sehen wir Martin Behaim als Ritter mit dem Kreuz des Christusordens in Harnisch und Mantel (Abb. 5). In der rechten Hand die Zeichenfeder auf dem Globus ruhend, die linke Hand am Schwert. Unter ihm, rechts und links neben dem Sockel, sitzen zwei weibliche Figuren, Sinnbilder des Handels und der exakten Wissenschaften. Die Darstellung des Globus und seines Gestells orientiert sich genau am Original, das sich zu dieser Zeit im Besitz und in den Räumlichkeiten der Familie Behaim befand. Das von der allegorischen Figur der Wissenschaft aufgeschlagene Buch zeigt ein Astrolab. Eindeutig diente dafür eine Illustration aus dem ersten wissenschaftlichen Werk über Behaim, das Friedrich Wilhelm Ghillanys 1853 veröffentlichte, als Vorlage (15). Darin findet sich die großformatige Zeichnung des von Regiomontanus verbesserten Astrolabiums. Dessen Einführung in die portugiesische Seefahrt soll, so die zentrale These Ghillanys, das Hauptverdienst Behaims gewesen sein. Zu Füßen der Allegorie der Wissenschaft liegen Bücher. Auf einem davon findet sich der Name "Regiomontanus". Hier wird auf die angebliche Schülerschaft Behaims zu dem Mathematiker hingewiesen.

Das von der Behaim-Familie gestiftete Gitter wurde in der Werkstatt des Nürnberger Kunstschlossers Leibold hergestellt. Später ließ man es, bedingt durch die Veränderung des Zeitgeschmacks, wieder entfernen.

Die feierliche Einweihung des Behaim-Denkmals fand am 17. September 1890 im Rahmen eines aufwendigen Festaktes statt. Geehrt werden sollte, so heißt es in der zeitgenössischen Beschreibung des Denkmals, "der berühmte Sohn der Stadt, der Seefahrer Martin Behaim, ein Mann von kühnem Unternehmungsgeist, welcher sich um die Länder- und Völkerkunde, sowie um die Schiffahrt hochverdient gemacht hat" (16= (Abb. 6). Der Festakt begann um 10 Uhr morgens, als sich die von Bürgermeister Otto Freiherr von Stromer geladenen Gäste vor dem Rathaus versammelten. Gemeinsam bewegte sich der Festzug zum Geburtshaus Martin Behaims am Hauptmarkt (Nr. 15), um hier den musikalischen Ovationen der Nürnberger Sängergemeinschaft zu lauschen, die die Mozartweise "O Schutzgeist alles Schönen" anstimmte. Vom Behaim'schen Haus am Hauptmarkt zog man zum aufwendig geschmückten Denkmal am Theresienplatz. Die Festgäste nahmen auf einer Tribüne vor dem Cramer-Klett-Haus Platz, und der eigentliche Festakt wurde nun eingestimmt mit einem weiteren musikalischen Vortrag der Nürnberger Sängergemeinschaft. Ein eigens zu diesem Anlaß komponiertes Stück von Franz Lachner gelangte hierbei zur Aufführung. Im Anschluß hielt der Geograph Professor Siegmund Günther seine Rede, in der er besonders die seefahrerischen Leistungen Behaims und seine Verdienste um die Nautik hervorhob. Schließlich wurde das Denkmal enthüllt und der Bürgermeister übernahm es im Namen der Stadt Nürnberg. Ein Musikvortrag der Kapelle Winderstein beschloß die feierliche Enthüllung. Der Zug bewegte sich dann zum Rathaus zurück, womit der offizielle Teil der Feierlichkeiten beendet war. Für vorangemeldetes Festpublikum wurde in der Stadtparkrestauration gegen 13 Uhr ein Menü angeboten, welches in der Einladung als "Frühstück" bezeichnet wurde und das den Honoratioren der Stadt Geselligkeit im kleineren Kreise bot.

Das Ereignis der feierlichen Enthüllung des Denkmales, von dem auch überregional berichtet wurde, stellte ohne Zweifel einen gesellschaftlichen Höhepunkt im städtisch-bürgerlichen Leben des Jahres 1890 dar und blieb vielen Nürnbergern lange in Erinnerung. Photographische Aufnahmen belegen den Aufwand und die pompöse Ausschmückung des Denkmals (Kat.-Nr. 3.59a, b).

Das Behaim-Denkmal am Theresienplatz hatte sicherlich einen hohen Symbolwert für die Stadt. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in der Nürnberg (erstmals wieder seit über 250 Jahren) einen Aufschwung erlebte und mit rasender Geschwindigkeit in vielen Bereichen expandierte, sollte mit dieser und anderen Denkmalsetzungen die große Zeit der Stadt wachgerufen werden. Weltoffenheit, Kaufmannsgeschick auch über die Stadtgrenzen hinaus, Erfindergeist und technische Innovation waren im ausgehenden 19. Jahrhundert Werte in einer industriellen Großstadt, deren Verwirklichung der bürgerlichen Elite Erfolg verhieß. Der Seefahrer und Globusmacher Martin Behaim war für dieses Programm genau die richtige Identifikationsfigur. Gerade nach einer mehrhundertjährigen Phase, in der Nürnberg nach Bevölkerungszahl, wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und Mentalität eher als provinziell zu charakterisieren war, wollte man an die Blütezeit Nürnbergs, das 15. und 16. Jahrhundert, erinnern. Durch die Gestalt Behaims sollte diese Zeit gewissermaßen revitalisiert werden. Daß im Jahr der Behaim-Denkmalsenthüllung auch das Ludwigsbahn-Denkmal fertiggestellt wurde, zeigt deutlich den Geist der Zeit, in welcher Modernisierung und Aktualisierung von Historie eng verbunden war.

Nicht ohne Belang ist der Umstand, daß wir uns zudem mitten im Zeitalter des Imperialismus befinden. 1885 wurde in Berlin die Kongo-Konferenz abgehalten. Die Großmächte teilten die Welt restlos unter sich auf und hier fiel der Startschuß für den letzten Wettlauf um die Kolonien. Daß Behaim eben den Kongo entdeckt haben sollte, somit ganz zweifellos als ein Vorfahre deutscher Kolonialpioniere zu gelten hatte, paßte hervorragend in das herrschende Bewußtsein.

1893, drei Jahre nach der Errichtung des Behaim-Denkmals, reiste eine große Nürnberger Delegation von Industriellen und anderen Gewerbetreibenden in die Neue Welt, um hier zur Weltausstellung in Chicago einen eigenen Pavillon zu präsentieren. Es war wieder möglich geworden, den Schritt in die große weite Welt zu tun und "Nürnberger Tand ging wieder durch alle Land", wie einst zu Zeiten eines Martin Behaim.

Nationalstolz und Expansionismus kommen schwelgerisch in der Festhymne zur Denkmalsenthüllung zum Tragen, deren Text hier mitgeteilt sei:

"Rausche auf in mächt'gen Klängen
Voller deutscher Männerchor,
Festesfreude zu erhöhen,
Schwing zum Himmel dich empor,

Laut verkünde, laut auf's Neue:
In des Liedes mächt'gen Horst
Lebt der Geist der deutschen Treue,
Lebt die Jugend ewig fort.

Vier Jahrhundert sind vergangen
Seit mit kühnem Forscherdrang
Nürnberg's edler Sohn die Segel
Durch entfernte Meere zwang.
Fremde Völker, fremde Buchten
Grüßten seiner Schiffe Kiel -
Kühner Geist und mut'ges Ringen
Führten herrlich ihn zum Ziel.

Falle nieder dichte Hülle
Und begrüßt vom mächt'gen Chor
Schau zum lichten Himmelsdome
Herrlich Denkmal nun empor.

Mögen Wind und Wetter stürmen,
Alles steht in Gottes Hand.
Er wird treu und fest beschirmen
Deutsches Volk und deutsches Land.
Mögen Wind und Wetter stürmen
Gott wird treu und fest beschirmen
Deutsches Volk und deutsches Land
Deutsches Volk und deutsches Land" (17).

 

1892-1901: Die Rathausgemälde Friedrich Wanderers

Im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts wurde vom städtischen Rat der Beschluß gefaßt, den Kleinen Rathaussaal restaurieren zu lassen. Man benötigte Repräsentationsräume, "(...) in welchen hohe Persönlichkeiten empfangen und feierliche Handlungen vorgenommen werden können" (18).

Im Zuge dieser Ausgestaltung bot es sich an, die Idee einer Erinnerung an die "Großen Nürnberger" aufzugreifen. Die Inszenierung Krelings im Rahmen des Sängerfestes von 1861 als Vergegenwärtigung der "Blüthezeit" Nürnbergs durch historische Persönlichkeiten war nicht vergessen. Ganz im Gegenteil: Ein solches Konzept war nach wie vor ganz nach dem Geschmack der bürgerlichen Führungsschicht. Friedrich Wanderer, der 1892 mit den Plänen für eine Rathausumgestaltung begann, griff daher auf diese alte Idee zurück. 1895 war das endgültige Programm festgelegt. Im Ergebnis wurden sechs Gemälde ausgeführt. Das Hauptbild an der südlichen Stirnseite ist "Die Stadt Nürnberg als Bewahrerin der Reichskleinodien". Auf den beiden unmittelbar zugehörigen Bildern sind "Berühmte Männer aus Nürnbergs großer Vergangenheit" versammelt. Des weiteren gehörten zur Neuausstattung noch drei Einzelbilder: Der Stifter Konrad Groß, Willibald Pirckheimer und Prinzregent Luitpold von Bayern. Im Zentrum des Hauptgemäldes (Abb. 7), auf dem sich auch Martin Behaim befindet, thront die personifizierte Noris, vor ihren Füßen sind die Reichskleinodien ausgebreitet. Zwei Themen sind es vor allem, die hier dargestellt sind: Die Rolle Nürnbergs im Reformationszeitalter und die ausgedehnten Handelsbeziehungen der Stadt. An den Thron der Stadtgöttin lehnt sich Hans Rosenplüt, der Verfasser des ersten Lobgedichtes auf Nürnberg (1447), vor Rosenplüt sitzend Hans Sachs. Ihm zeigt Osiander, der 1522 in Nürnberg die erste reformatorische Rede hielt, das Bild Luthers. Die Ratsherren Christoph Kress und Hieronymus Ebner, sowie der Ratsschreiber Lazarus Spengler, stehend in der rechten Bildhälfte, waren Vertreter einer gemäßigten Haltung bei der Einführung der Reformation in Nürnberg.

Daß Behaim gerade in diesem Bild auftritt und nicht auf der Darstellung Nürnberger Künstler und Handwerker zusammen mit Dürer, Vischer, Glockendon, Koberger, Hirsvogel u.a. ist aufschlußreich.

Behaim, obwohl mit Christusritterabzeichen, aber nicht im Harnisch, sitzt zur (ikonographisch gewichtigen) Rechten der Stadtgöttin (Kat.-Nr. 3.63). Behaim wird hier in allererster Linie zum Repräsentanten des Nürnberger Fernhandels. Der Kaufmannszug im Hintergrund und die hinter Behaim stehenden venezianischen Kaufleute, unter ihnen Viatis, einem Nürnberger Kaufmann die Hand reichend, unterstreichen diese Bildbotschaft. Das Rittertum Behaims ist dabei durchaus sekundär, ebenso der Hinweis auf Wissenschaft oder seefahrerische Entdeckerleistung.

Bei der Betrachtung des ursprünglichen Entwurfes zu diesem Gemälde könnte man fast auf den Gedanken kommen, führende Vertreter der Nürnberger Wirtschaft hätten bei der letztendlichen Bildgestaltung ihre eigenen Vorstellungen über Martin Behaim durchsetzen können (Abb. 8). Geplant war nämlich eine Darstellung, in der sich um die Stadtgöttin Künstler und Handwerker gruppieren. Wie sonst auch üblich hätte man dann Dürer, Krafft, Vischer, Sachs, Henlein die Hauptrollen gegeben und zu Füßen der Stadtgöttin wären die Dichter Conrad Celtis ("poeta laureatus") und Hans Sachs gesessen. Ein Globus ist auf dem Entwurf zwar auch zu sehen, doch ist es nicht der Behaim'sche und Behaim selbst ist gar nicht vertreten (s. auch Kat.-Nr. 3.62a, b).

In der ausgeführten Fassung hingegen dominieren auf dem Hauptbild die Kaufleute und tatsächlich wird Behaim nirgendwo sonst so deutlich dem Kaufmannstum zugeordnet wie hier. Erst in jüngster Zeit, also 100 Jahre später, greift man diese Funktion Behaims wieder auf. Man hätte ihn gerne als Imageträger, um die angestrebte internationale und wirtschaftliche Bedeutung der Stadt nach außen zu vermitteln.

 

1902: Bildersaal Deutscher Geschichte

1902 erschien das großformatige und reich bebilderte Werk "Bildersaal Deutscher Geschichte". Der tiefrote Einband des opulenten, über 400-seitigen Buches ist mit goldenen Lettern, Adler und Kaiserbild repräsentativ geschmückt (19). Auf dem Höhepunkt des wilhelminisch-kaiserzeitlichen Nationalgefühls sollte der "Bildersaal" deutsche Geschichte von der germanischen Frühzeit bis zum "Neuen Reich" auf einprägsame, populäre Art vermitteln. Diese Vermittlung erfolgte hier in erster Linie über Bilder - durchaus in der Erkenntnis, daß sich Bilder länger und intensiver einprägen als selbst die anschaulichsten Texte. Im besten Sinne des Wortes wurden hier also "Geschichts-Bilder" geboten und zwar in Form eines Bilderbuches.

Denn, so wird im Vorwort erläutert, in den zahlreichen bildnerischen Meisterwerken rücken ferne Zeiten heran, es treten uns "Helden lebendig gegenüber, gewaltige Taten spielen sich sichtbar vor unseren Augen ab, deutlich zeigt uns die Vorzeit Sitte und Brauch, Haus und Herd, Waffe und Gewand" (20).

Wahrnehmungspsychologisch richtig wird erkannt,

"daß das Geschaute dem Gedächtnis länger und lebendiger erhalten bleibt als die durch das Wort übermittelte Vorstellung. Besonders dem schlichten Mann, an dem das bloße Wort leicht vorüberrauscht, dem kindlich einfältigen Gemüt, das in dem Wort die Wahrheit nicht immer zu finden weiß, prägt sich eine Geschichte in Bildern oft untilgbar ein und ebnet der Wahrheit den Weg, indem sie ihr die Schönheit als Herzensgewinnerin vorausschickt" (21).

Das Zielpublikum war die deutsche Familie und mit der attraktiven äußeren Gestaltung und den 494 Abbildungen und 48 Kunstbeilagen "nach Originalen hervorragender Künstler" bot man denn auch ein Schmuck- und Repräsentationsobjekt für die Wohnstuben deutscher Bürger. Auch wenn uns keine Verkaufszahlen vorliegen, dürfen wir die Wirkung solcher Geschichtsvermittlung nicht unterschätzen. Zumal die Suggestivkraft von Bildern, mittlerweile unverzichtbarer Bestandteil bei der Informationsvermittlung in unserer Televisions-Gesellschaft, hinlänglich bekannt ist. Auf Seite 201 wird von "den großen Entdeckungen" berichtet und hier findet sich der Stich "Martin Behaim erklärt seinen ersten Erdglobus" nach einem Gemälde von Max Baer (Kat.-Nr. 3.64, Abb. 9). Im Text wird erklärt, daß Behaim an der Fahrt des Diogo Cão beteiligt war; denn "auf Handelsreisen nach Antwerpen und Venedig hatte ihn beim Anblick der buntbewimpelten Schiffe das Gefühl der Großartigkeit ergriffen, das in weiten Seefahrten liegt, und den Entschluß in ihm reifen lassen, hinauszusteuern in die unbekannte Welt. In Lissabon fand er den Mittelpunkt all der hochfliegenden Pläne, die den Schleier von dem 'Meere der Finsternis' zu heben versuchten, und er zeigte sich bald als ein würdiger Vertreter derselben. Wohl angeregt durch den berühmten Meister Johannes Müller (Regiomontanus), der in Nürnberg die Mathematik zu hoher Blüte brachte, verbesserte er ein wichtiges Instrument, das den Schiffern zum Messen der Höhenwinkel von Sonne, Mond und Sternen diente, und kurz darauf konnte er sein Werk auf den Fluten der afrikanischen Meere selbst erproben" (22).

Daß Behaim in Venedig gewesen sei, ist nicht bekannt, seine Schülerschaft bei Regiomontanus ist, wie schon betont, zweifelhaft, ebenso wie eine Afrikafahrt zusammen mit Cão. Daß Behaim selbst ein Navigations-Instrument - vermutlich ist hier das Astrolabium gemeint - verbessert haben soll, ist durch keinen Hinweis zu belegen und wird nicht nur von portugiesischen Wissenschaftlern gänzlich bestritten.

In der Erläuterung zur Abbildung setzt sich die Aneinanderreihung der Falschbehauptungen und Spekulationen fort: "Im Jahre 1491 kehrte er für kurze Zeit nach Nürnberg zurück, und dann wurde wohl das Haus des würdigen Ratsherrn Michael Behaim öfters der Schauplatz eines fesselnden Bildes. Der alte Vater und ein Kreis von Gästen, darunter anmutige Damen, lauschten den Worten des weit gereisten Anverwandten, der ihnen seinen berühmten 'Erdapfel' oder ersten Erdglobus erklärte" (23).

Michael Behaim ist natürlich nicht der Vater des Martin Behaim. Martin Behaim der Ältere lebte 1491 längst nicht mehr und der Sohn wohnte auch nicht im väterlichen Haus, sondern bei seinem Cousin Michael, der aber nie Ratsherr war. Der Globus wurde auch nicht im Hause eines der Behaims gebaut, so daß das beschriebene "fesselnde Bild mit anmutigen Damen" pure Imagination ist. In Wahrheit schätzten gerade die Nürnberger Verwandten des Martin Behaim dessen Verhalten überhaupt nicht. Sie waren - ganz im Gegenteil - froh, ihn wieder loszuwerden, wie wir aus Briefen wissen.

Blättert man im "Bildersaal" weiter, so kommt nach der Behaim-Szene ein großes, fast zweiseitiges Bild mit der Darstellung von "Kolumbus' Entdeckungsfahrt: Die Meuterei an Bord" (Abb. 10). Die Darstellung geht auf die Behauptung zurück, bei der ersten Kolumbus-Reise hätten die abergläubischen und furchtsamen Seemänner gemeutert und wollten von Kolumbus die sofortige Umkehr erzwingen. Diese Episode muß den Legenden zugerechnet werden. Zwar gab es Verstimmungen bei einigen Mannschaftsmitgliedern, doch niemals kam es auf dieser Fahrt zu einer offenen Meuterei, wie es die Darstellung eindrücklich glauben zu machen versucht (24).

Doch ganz abgesehen davon ist für uns interessant, daß hier neben dem entschlossen in die Ferne blickenden Kolumbus ein gewaltiger Globus auf dem Schiffsdeck zu sehen ist. Dies suggeriert eine deutliche Verbindung zwischen Behaim, dem Globusmacher, und Kolumbus, dem Amerika-Entdecker. So, als ob Behaim seinen Globus dem Kolumbus mit auf den Weg gegeben hätte, gewissermaßen als notwendige Orientierungshilfe für dessen West-Fahrt: Ein Zusammenhang, den es niemals gegeben hat. Zugrunde liegt auch hier wiederum die bekannte Lieblingsidee, einen Deutschen als "geistigen Entdecker" Amerikas feiern zu wollen. Ignorierte man die historischen Fakten, so vermochte eine solche Darstellung gewiß patriotischen Stolz vermitteln.

Interessanterweise findet sich das Motiv "Behaim erklärt seinen Globus" auch auf einer Schultafel. Bücher und astronomisches Gerät im Hintergrund, ebenso die interessiert dreinblickenden Herren verweisen auf die Nähe zur Wissenschaft. Behaim wird hier als Kartograph dargestellt und die Schautafel soll wohl bildhaft-didaktisch Anreiz bieten, sich mit Behaim und seinem Globus zu beschäftigen (Abb. 11, s. auch Kat.-Nr. 3.70).

 

1939: "Das unsterbliche Herz", ein Film von Veit Harlan

1939 wurde der Film "Das Unsterbliche Herz" in Nürnberg uraufgeführt. Für das Geschichtsverständnis vor allem der Nürnberger, die die dreißiger Jahre bewußt miterlebten, dürfte dieser Film von nicht zu unterschätzender Wirkung gewesen sein. Die Dreharbeiten fanden zwischen Ende Juli bis Dezember 1938 statt. Neben Binz auf der Insel Rügen drehte man Außenaufnahmen auch in Nürnberg selbst. Mit Heinrich George als Peter Henlein und der tiefdekolletierten Kristina Söderbaum, im Volksmund als die "Reichswasserleiche" bekannt, war für Starbesetzung und reges Publikumsinteresse gesorgt (Abb. 12, Kat.-Nr. 3.68-3.69a-d).

Auch zahlreiche Nürnbergerinnen und Nürnberger, 7.000 an der Zahl, wie es in einem Presseartikel hieß, durften in Massenszenen als "Volk" mitauftreten. Aus manchen Straßenzügen wurde die Beleuchtung, Strom- und Telegraphenleitungen entfernt. Der Film sollte schließlich stilecht in Nürnberg um 1500 spielen.

Als Vorlage für das Drehbuch diente das Schauspiel "Das Nürnbergisch Ei". Verfasser dieses Stückes war der Dramaturg und Schriftsteller Walter Harlan (1867 - 1931), der Vater des später so berühmten Filmemachers Veit Harlan (1899 - 1964) (25). Das Bühnenstück Harlans, das mehrfach aufgelegt auch als Schullektüre verwendet wurde (26), kreist um die Erfindung des "Nürnberger Eies", der ersten Taschenuhr. Walter Harlan bedient sich dabei der geschichtlichen Tatsachen in äußerst freier Weise. Historisch stimmig ist in diesem Stück so gut wie nichts und noch weniger im Film, der sich frei an die literarische Vorlage anlehnt und sie in ihrer Fiktionalität noch übertrifft. Die Handlungsstränge und auch das Zusammentreffen der historischen Figuren sind erfunden. Harlan-Vater und noch mehr Harlan-Sohn bedienen sich aus dem Fundus der Überlieferung wie aus einer Klamottenkiste und was als Historie erscheint, entspricht dem Niveau platter Klischees - so jedenfalls dünkt es uns heute.

Im Illustrierten Film-Kurier der Tobis-Filmgesellschaft ist die Handlung zusammengefaßt: "Martin Behaim, der berühmte Geograph und Schöpfer des ersten Globus, gerät auf einer seiner Entdeckungsfahrten in Seenot. Ganz seiner Aufgabe hingegeben, die geographische Beschaffenheit der Erde zu erforschen, ist er trotz schlechten Wetters in See gegangen. Seine Gewichtsuhren sind bei dem großen Sturm stehengeblieben er kann deshalb den Standort seines Schiffes nicht mehr bestimmen, verliert die Orientierung, und sein Schiff strandet nun. Mühsam rettet er sich und sein Lebenswerk, den Globus, aber die Mehrzahl der Schiffsbesatzung kommt in den Wellen um".

Behaim kommt vor Gericht, da er angeblich leichtfertig Menschenleben aufs Spiel gesetzt hätte. Der Schöffe Henlein verteidigt ihn und auf seine Fürsprache wird Behaim freigesprochen: Die eigentliche Ursache für das Schiffsunglück war das Fehlen einer brauchbaren Schiffsuhr. Henlein wird vom Rat beauftragt, eine solche zu bauen. Doch zu diesem Zeitpunkt ist Henlein schwerkrank. Im Handgemenge mit seinem Gesellen, der es auf Henleins "blutjunge, lebenshungrige Frau" abgesehen hatte und den Henlein zur Rede stellt, löst sich ein Schuß und die Kugel fährt nahe ans Herz des Meisters. Nur noch wenige Wochen bleiben ihm zum Leben, wie er von dem Arzt Hartmann Schedel erfährt. "Alle drängen ihn zu der Operation, und er stemmt sich gegen alle: seine Frau und seine Freunde. Ja Staat und Kirche wollen ihn an seinem Werk hindern, das ihm für den Fortschritt der Menschheit wichtiger erscheint als die Erhaltung seines eigenen Lebens. Er flieht, weil er ein Freund Martin Luthers ist, der Ketzerei angeklagt, heimlich auf die Nürnberger Burg".

Henlein arbeitet wie besessen im Wettlauf mit der Zeit an seiner Taschenuhr, unverstanden vor allem von seiner jungen Frau, die den "hohen Gedankenflug ihres genialen Mannes" nicht begreifen kann.

"Endlich ist es geschafft, Peter kommt von der Burg herab, um sich zum Sterben zu legen. In seinen Händen hält er die fertige Uhr, 'Das nürnbergisch Ei' und diktiert Behaim sein Testament".

In seiner Todesstunde verbindet er seine Frau mit dem Gesellen Konrad. "Dann entfällt ihm die Uhr. Sie rollt über die Decke, und Henlein verhaucht sein Leben mit den Worten: 'Laß sie rollen, laß sie rollen aus Nürnberg über die ganze Welt.' - Wie ein Kaiser wird Peter Henlein begraben".

Der Film wurde mit großem propagandistischen Aufwand am Dienstag, den 31. Januar 1939 im Ufa-Palast in Nürnberg uraufgeführt. Das Datum war bewußt gesetzt: Am Vortag war im ganzen Reich der sechste Jahrestag der nationalsozialistischen Machtergreifung gefeiert worden. Am Tag der Filmpremiere waren Zeitungen und Rundfunk voller Berichte über Ansprachen, vor allem des Führers. In die Stimmungslage des nationalen Hochgefühls paßte diese "Welturaufführung", die Tage vorher in Zeitungsannoncen gut plaziert angekündigt war, ausgezeichnet.

Zur Uraufführung angereist waren selbstverständlich Harlan und die beiden Stars Heinrich George und Kristina Söderbaum. Der Württemberger Hof, der für die Tobis-Filmgesellschaft als Hauptquartier diente, war voller Pressevertreter aller großen Tageszeitungen und Filmfachblätter.

30 Sieger aus dem Tobis-Preisausschreiben waren ebenfalls hier untergebracht. Ihre Zusammensetzung sollte alle Schichten der Bevölkerung repräsentieren: U.a. ein Installateur, ein Professor, ein SS-Truppführer aus Wien, ein Bauer aus Schlesien, zwei Uhrmacherlehrlinge aus München und Breslau, eine Mutter von sieben Söhnen aus Königsberg u.a.m.

Die Aufführung stand unter der Schirmherrschaft von Julius Streicher, der sich nach Ende der Vorführung entschloß, und zwar völlig "unvorbereitet" und "tiefbewegt", wie es in dem Zeitungsartikel heißt, eine Dankesrede zu halten, in der er das "künstlerische Wollen und das künstlerische Gestaltungsvermögen des neuen deutschen Filmschaffens" über alle Maßen lobte. Hymnisch pries Streicher die schauspielerischen Leistungen Kristina Söderbaums, "dieser deutschen Frau", und Heinrich Georges, "dem ganz großen Künstler": "Nur ein ganz großer Künstler kann das, was sie hier geleistet haben, leisten. Er muß aber ganz Mensch sein auch im Menschlichen. Sie sind ein solcher Mensch und darum werden sie uns weiterhin noch viel Großes geben".

Natürlich wird auch Nürnberg gelobt, denn "so schön wie dieses Nürnberg ist keine andere Stadt, und ein solches Volk gibt es kaum in einer anderen Stadt". Betont wird nachdrücklich, daß in diesem Film nicht an den Verstand, sondern an das Gefühl appelliert werde und daß dies ganz im Sinne des Führers sei: "Der Führer spricht so oft davon, daß nicht der Verstand entscheidet, sondern das Gefühl. Nicht der kalte Verstand, das unsterbliche deutsche Herz vermag uns das Höchste zu geben" (27).

Nach diesen rhetorischen Meisterleistungen Streichers wurde zum Abschluß noch deutsches Liedgut vorgetragen. Am Abend fand dann im Württemberger Hof ein Kameradschaftsabend mit Harlan, Söderbaum, George, Oberbürgermeister Liebel und Julius Streicher statt. Dabei erhielten Harlan und George als besondere Ehrung je eine kostbare Uhr durch Vertreter des Deutschen Uhrmacherhandwerks überreicht.

Am Abend der Uraufführung in Nürnberg ließ Streicher noch an Reichsminister Goebbels telegraphieren: "'Das unsterbliche Herz' erlebte eine Aufnahme, wie sie nur aus dem Herzen der Nürnberger zu kommen vermag" (28).

Behaim spielt in dem Film von Veit Harlan zwar nicht die Hauptrolle, doch tritt er als eine der wichtigsten Nebenfiguren in Erscheinung. Zudem beginnt der Film mit der dramatischen und sicherlich sehr einprägsamen Szene auf hoher See, als die "Nürnberg", Behaims Entdeckerschiff, in einen Sturm gerät (Abb. 13). Der wackere Behaim kann sich nur retten, indem er sich an seinen Erdapfel klammert. So entgeht er dem sicheren Ertrinken. Im weiteren Verlauf des Film tritt der stattliche Behaim, gespielt von Michael Bohnen in "männlichem und kühnen Format", wie ein Kritiker lobte, als Freund des Henlein in Erscheinung, teilweise in vollem Ritter-Harnisch (Abb. 14).

Es braucht nicht besonders erwähnt werden, daß alles, was in dem Film mit Behaim in Verbindung gebracht wird, dem Reich der puren Phantasie zuzuordnen ist. Allein die Lebensdaten der beiden Protagonisten, Martin Behaim (1459 - 1507) und Peter Henlein (um 1485 - 1542), lassen die im Film konstruierte Freundschaft und Zusammenarbeit unmöglich erscheinen. Wir können jedoch nicht umhin anzunehmen, daß solche Bilder ihr Eigenleben führen und sich tiefer im (Un-)Bewußtsein der Zeitgenossen verankerten als manch trockene Unterrichtsstunde oder ein gelehrtes Traktat.

Die geschilderten Beispiele zeigen, daß die popularisierte Gestalt Martin Behaims stark fiktive Züge trägt. Man bringt Behaim vor allem in Verbindung mit Seefahrt, geographischen Entdeckerleistungen und technischen Erfindungen. Besonders die Annahme, daß Behaim mit der Entdeckung Amerikas in irgendeiner Form zu tun gehabt hätte, gehört bis heute zu den Lieblingsvorstellungen des populären Behaim-Bildes. Sie ist, um es noch einmal festzustellen, wissenschaftlich nicht haltbar und geht auf eine Totengedenkrede des Altdorfer Universitätsprofessors Johann Christian Wagenseil (1633 - 1705) zurück (29).

Beispiele, die illustrieren, wie diese imaginäre Behaim-Figur über Jahrhunderte hinweg bis in unsere Gegenwart lebendig erhalten wird, ließen sich fast beliebig vermehren. Vor allem die belletristische Literatur, aber auch populärwissenschaftliche Veröffentlichungen, Werbebroschüren und nicht zuletzt Schulbücher kommen ohne mehr oder minder phantasievolle Ausschmückungen der Gestalt Behaims nicht aus. Exemplarisch genannt seien in diesem Zusammenhang nur Helene von Forsters Bühnenstück "Im Hause Martin Behaims" von 1907 (Behaim als großer Wissenschaftler), Otto Barthels "Heimatgeschichtliches Lesebuch" von 1955 (Behaim als gelehriger Schüler des Regiomontanus', der mit seinem "Erdapfel" falsches mittelalterliches Denken überwindet) oder Franz Bauers Behaim-Roman von 1961, "Er trug die Welt in seinen Händen" (Behaims Weltkarte führt Kolumbus nach Amerika und später entdeckt Behaim selbst die Kleinen Antillen) (30). Erwähnt sei aus jüngster Vergangenheit eine aufwendige Broschüre, die auf kultur- und kunstgeschichtliche Glanzlichter der Partnerregionen Mittelfranken und Limousin hinweist und die 1991 mit dem Titel "Der Ring der Kultur - Limousin - Mittelfranken" gedruckt wurde (31). Den Behaim-Globus, so heißt es hier, soll sich Kolumbus vor seiner Entdeckungsreise angesehen haben. Und im Vorwort des Nürnberger Oberbürgermeisters zu einer 1989 erschienen Behaim-Biographie gilt Behaim sogar als ein "Mechaniker, Physiker, Geograph und Nautiker", der mit seinem ("ersten brauchbaren") Erglobus "das Tor zur Moderne, die den Menschen weltweit denken und handeln lehrte, aufgestoßen hat" (32).

Quellenbezogene Forschung kann sich derlei Einschätzungen nicht anschließen. Eine wissenschaftlich-kritische Auseinandersetzung mit Leben und Werk Behaims wird jedoch durch die Tatsache erschwert, daß Behaim im 19. Jahrhundert durch die bürgerliche Führungsschicht Nürnberger Kaufleute und Unternehmer die Rolle einer städtischen Identifikationsfigur zugewiesen bekam. Behaim wurde damit, neben anderen, zum Aushängeschild der Stadt Nürnberg und erhielt eine politische Funktion. Diese Rolle wurde im 20. Jahrhundert immer wieder aktiviert und aktualisiert. Kritik und Zweifel an den ihm zugesprochenen großartigen Leistungen mögen hier, verständlicherweise, irritieren. Wissenschaftlich sind sie gerechtfertigt. Im ausgehenden 20. Jahrhundert sollte endlich ein unbefangener, d.h. auf historischer Erkenntnis beruhender Umgang mit den "Großen Männern" der Vergangenheit möglich sein. Und schließlich: Den Ruhm, der sich mit der ältesten erhaltenen Darstellung der Erde in Kugelgestalt und dem Namen Martin Behaim verbindet, will niemand streitig machen.

 

Anmerkungen

(1) Zur wissenschaftlichen und populären Wirkungsgeschichte Behaims s. ausführlich Peter J. Bräunlein: Martin Behaim: Seefahrer - Forscher - Kosmograph? Legende und Wirklichkeit eines berühmten Nürnbergers. Nürnberg 1992.

(2) Zur Geschichte der Ludwigs-Süd-Nord-Bahn s. Hans-Peter Schäfer: Die Anfänge der fränkischen Eisenbahn. Würzburg 1985, S.53 - 66.

(3) s. das Dampflok-Verzeichnis der Königlich-Bayrischen Staatsbahn. Wuppertal 1966 und auch R. von Helmholtz und W. Staby: Die Entwicklung der Lokomotive im Gebiete des Vereins deutscher Eisenbahnverwaltungen. Bd. 1: 1835 - 1880. München - Berlin 1930.

(4) Dampflok-Verzeichnis (Anm. 3).

(5) So heißt es in der Lieddichtung Schenkendorfs von 1814: "Wenn Einer Deutschland kennen / Und Deutschland lieben soll, / Wird man ihm Nürnberg nennen, / Der edlen Künste voll. / Doch nimmer noch veraltet - / Du treue fleiß'ge Stadt, / Wo Dürers Kraft gewaltet / Und Sachs gesungen hat". Hier zitiert nach Ludwig Grote: Die romantische Entdeckung Nürnbergs. München 1967, S. 93.

(6) Friedrich Brinckmann: Nürnberg. In: Globus. Zeitschrift für Länder- und Völkerkunde, 1864, S. 361. Hier zitiert nach Norbert Götz: Um Neugotik und Nürnberger Stil. Studien zum Problem der künstlerischen Vergangenheitsrezeption im Nürnberg des 19. Jahrhunderts. Neustadt/Aisch 1981, S. 118, A 452.

(7) N. Götz (Anm. 6), S. 120, A 458. - s. hierzu auch Gerhard Bott (Hrsg.): Die Meistersinger und Richard Wagner. Die Rezeptionsgeschichte einer Oper von 1868 bis heute. Ausstellungskatalog Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum. Nürnberg 1981, S. 125 - 129. - Als Quelle: Gedenkbuch des in der Stadt Nürnberg 1861 begonnenen Großen Deutschen Sängerfestes. Nürnberg 1861.

(8) Gedenkbuch (Anm. 7), S. 51. Hier zitiert nach: G. Bott (Anm. 7), S. 129.

(9) Zitierte Texte aus: Album des historischen Bilderschmucks während des Großen Deutschen Sängerfestes am 21./22. und 23. Juli 1861. Nürnberg 1861.

(10) Zur industriellen Umstrukturierung Nürnbergs an der Wende vom 19. und 20. Jahrhundert s. z.B. Gerhard Hirschmann: Nürnberg 1870 bis 1914. Stadtentwicklung im Überblick, In: Gerhard Bott (Hrsg.): Peter Behrens und Nürnberg. Ausstellungskatalog Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum. München 1980, S. 10-17.

(11) Vgl. Stadtarchiv Nürnberg HR. V d 22, Nr.35, fol 27f. Hier erwähnt nach Hinweis bei N. Götz (Anm. 6), S. 165. Allerdings findet sich später kein Hinweis, ob die Handelskammer sich tatsächlich an den Kosten beteiligt hatte. Vermutlich nicht, andernfalls nämlich wäre eine solche Finanzierungsbeteiligung in dem Presseartikel zur Enthüllung sicher eigens erwähnt worden. Vgl. N. Götz (Anm. 6), S. 165, A 621.

 

(12) Über die Planungsgeschichte des Behaim-Denkmals informiert ausführlich N. Götz (Anm. 6), S. 168-173.

(13) s. N. Götz (Anm. 6), S. 165f. Dieses Porträtbild ist bei Siegmund Günther: Martin Behaim. Bamberg 1890 als Frontispiz wiedergegeben.

(14) N. Götz (Anm. 6), S. 166, A 622.

(15) Friedrich Wilhelm Ghillany: Geschichte des Seefahrers Ritter Martin Behaim nach den ältesten vorhandenen Urkunden bearbeitet. Nürnberg 1853.

(16) Adolf Glocker: Die neuesten Kunstdenkmäler Nürnbergs. I. Das Behaim-Denkmal. Nürnberg o.J. (1890).

(17) Der Dichter der Strophen war der Gemeindebevollmächtigte Hans Barth. Abgedruckt in: Fränkischer Kurier, Nr. 476, 17. September 1890: "Die feierliche Enthüllung des Martin Behaim-Denkmals in Nürnberg", S.1.

(18) Stadtarchiv Nürnberg HR. III d Nr. 58, fol. 40. Der Hinweis ist entnommen aus N. Götz (Anm. 6), S. 173. Im folgenden halte ich mich an die entsprechenden Ausführungen von Norbert Götz (S. 173-177), der ausführlich auf die Rathausgestaltung und die Konzeption Wanderers eingeht.

(19) Adolf Bär und Paul Queniel (Hrsg.): Bildersaal Deutscher Geschichte. Zwei Jahrtausende deutschen Lebens in Bild und Wort. Mit 494 Abbildungen und 48 Kunstbeilagen nach Originalen hervorragender Künstler. Stuttgart - Berlin - Leipzig 1902.

(20) A. Bär u. P. Queniel (Anm. 19), S. XI.

(21) A. Bär u. P. Queniel (Anm. 19), S. XI.

(22) A. Bär u. P. Queniel (Anm. 19), S. 202.

(23) A. Bär u. P. Queniel (Anm. 19), S. 202.

(24) Es scheint, daß Anfang Oktober 1492 auf dem Schiff des Kolumbus tatsächlich eine gewisse Unruhe die Mannschaft ergriffen hatte. In einer Besprechung der Schiffskapitäne wurde beschlossen, die Fahrt einige Tage fortzusetzen, um dann über eine mögliche Umkehr zu entscheiden. Das sei die ganze "Meuterei" gewesen, wie Kirkpatrick Sale schreibt. Die Legende von einer Meuterei wurde 1536 von einem über Achtzigjährigen aufgebracht, der selbst nicht einmal der Mannschaft angehört hatte. Vgl. Kirkpatrick Sale: Das verlorene Paradies. Christoph Kolumbus und die Folgen. München - Leipzig 1990, S. 78. Bekanntermaßen ist auch das Leben des Kolumbus von zahllosen Legenden überwuchert. Die Meuterei ist eine davon. Eine andere ist, daß die meisten Besatzungsmitglieder Strafgefangene gewesen seien, eine weitere, daß Kolumbus beim Unterbreiten seiner Pläne ausgelacht worden wäre und wieder eine andere bringt das aufrechtstehende, hartgekochte Ei mit Kolumbus in Zusammenhang.

(25) Zu Veit Harlans Biographie und seinen umstrittenen, im Nachkriegsdeutschland mitunter verbotenen Filmen siehe Norbert Grob: Veit Harlan - Schauspieler, Regisseur. In: Hans-Michael Bock (Hrsg): Cinegraph. Lexikon zum deutschsprachigen Film. Bd. 2. München 1984, Lfg. 15.

(26) Die Ausgabe des Bühnenstücks von 1951 erschien im pädagogischen Verlag Berthold Schulz. Mit dem Originaltext wurde ein Beiheft herausgegeben: "Zur Vorbereitung auf die Lektüre W. Harlans dramatischer Dichtung 'Das Nürnbergisch Ei'". Das Beiheft, so heißt es im Werbetext "ist für Lehrer und Schüler gleichermaßen bestimmt. Es ist so gehalten, daß seine häusliche Durcharbeitung alle sachlichen Fragen und Erläuterungen und in produktiver Form ein Einleben in die Zeit um 1500 vor der Lektüre ermöglicht. Diese selbst und ihre Besprechung in der Schule kann sich dann ganz auf den dichterischen Gesamteindruck und das Vertiefen in die Charaktere sowie die innere Problematik des Dramas konzentrieren". Vgl. Walter Harlan: Das Nürnbergisch Ei. Dramatische Dichtung in vier Akten. Als Schullektüre herausgegeben von W. Blume. Berlin - Hannover - Frankfurt am Main 1951.

(27) Siehe "Julius Streichers hohes Lob", In: Fränkischer Kurier 33, 2. Februar 1939, S.9.

(28) Fränkischer Kurier 33, 2.Februar 1939, S.9.

(29) Der "Polyhistor" Wagenseil, bereits zu Lebzeiten ein umstrittener Gelehrter, hielt 1681 eine Ansprache auf den verstorbenen Georg Friedrich Behaim von Schwarzenbach (1616 - 1681). Darin werden die besonderen Verdienste des Vorfahren Martin Behaim hervorgehoben, u.a. seine angebliche Entdeckung Amerikas vor Kolumbus und die Entdeckung der Magellanstraße vor Magellan. Die Quellen, auf die sich Wagenseil stützt, halten jedoch der Überprüfung nicht stand. 1682 wurde die Rede Wagenseils als "Sacra parentalia D. Georgii Fredericii Behaimide Schwarzbach" in Altdorf gedruckt. Wagenseils Behauptungen fanden damit Eingang in wichtige Handbücher und Nachschlagewerke wie Zedlers Universallexikon (1733) oder in Jöchers Gelehrten Lexicon (1750). Von dort wiederum tradierte sich die Legende vom "Nürnberger Kolumbus" weiter ins 19. und 20. Jahrhundert, obwohl von anderen Gelehrten frühzeitig auf die Unhaltbarkeit dieser Behauptung hingewiesen wurde.

(30) Helene von Forster: Im Hause Martin Behaims. Festspiel in einem Akt mit lebenden Bildern. Nürnberg 1907. - Otto Barthel: Nürnberg - Heimatgeschichtliches Lesebuch. Nürnberg 1955. - Franz Bauer: Er trug die Welt in seinen Händen. Leben, Taten und Abenteuer des Seefahrers, Entdeckers und Globusmachers, Ritter Martin Behaim aus Nürnberg. Eupen 1961.

(31) L'Anneau culturel - Der Ring der Kultur. Limousin Mittelfranken. Limoges o.J. (1991).

(32) s. Peter Schönlein: Vorwort. In: Armin M. Brandt: Martin Behaim (1459 - 1507). Seefahrer - Entdecker - Kosmograph. Regensburg 1989, S. 8. - Zur Kritik an Brandts Behaim-Buch s. Peter J. Bräunlein: Armin M. Brandt: Martin Behaim (1459 - 1507). Seefahrer - Entdecker - Kosmograph. In: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 78, 1991, S. 297-299.

 

Abbildungslegenden (Bräunlein: Ritter, Seefahrer..)

(Abb. 1) Modell der Lokomotive "BEHAIM" (Maffei 1847). München, Deutsches Museum

(Abb. 2) Rudolph und Julius Geißler, Der Sänger-Festzug vom 22. Juli 1861 vor dem Behaimhaus. Lithographie

(Abb. 3) Rudolf Geißler, Die Dekoration des Behaimhauses während des Sängerfestes 1861

(Abb. 4) Fassade des Behaim-Hauses bemalt nach Entwürfen Friedrich Wanderers (1886) mit der Schau der Heiltümer und Martin Behaim

(Abb. 5) Das Behaim-Denkmal am Theresienplatz in Nürnberg

(Abb. 6) Die Enthüllung des Behaim-Denkmals. Photographie von Fritz Weber, 1890

(Abb. 7) Friedrich Wanderer, Nürnberg als Bewahrerin der Reichskleinodien. Gemälde im Kleinen Rathaussaal (nach 1901)

(Abb. 8) Friedrich Wanderer, Entwurfzeichnung für das Rathausgemälde "Nürnberg als Bewahrerin der Reichskleinodien"

(Abb. 9) Martin Behaim erklärt seinen Erdglobus. Illustration nach einem Gemälde von Max Baer, 1902

(Abb. 10) "Kolumbus' Entdeckungsfahrt: Die Meuterei an Bord". Illustration aus: Bildersaal Deutscher Geschichte, 1902

(Abb. 11) "Martin Behaim erklärt seinen Globus". Schulwandbild nach W. Planck, 1942

(Abb. 12) Der Illustrierte Filmkurier: Das unsterbliche Herz

(Abb. 13) Martin Behaim klammert sich an seinen Globus. Szenenphoto aus: "Das unsterbliche Herz", 1939

(Abb. 14) Michael Bohnen als Martin Behaim in Ritterharnisch. Szenenphoto aus: "Das unsterbliche Herz", 1939