Martin Behaim, Geschichte und Legende

Heinrich Winter

Am 6. Oktober 1959 jährt sich der Geburtstag von Martin Behaim zum fünfhundertsten Male, und es steht zu befürchten, daß aus diesem Anlaß alteingewurzelte Irrtümer bezüglich seiner Verdienste um die Entdeckungen der Portugiesen wie auch um seinen persönlichen Anteil an der Herstellung seines berühmten Globusses erneut vorgebracht werden. Die Frage des Anteils an dem Globus ist eine interne Angelegenheit der deutschen Wissenschaft, bei der wir, wenn kein Wandel eintritt, nur die Kritik des Auslandes hinnehmen müßten. In der ersten Frage sind wir es aber den Portugiesen schuldig, die alte, bis in die neueste Zeit immer wiederkehrende Überschätzung seiner Leistung gegenüber der eigenen Leistung der Portugiesen gründlich abzustellen. Vor vierzig Jahren hatte sie die berechtigte Empörung der Portugiesen ausgelöst und keinen Geringeren als HERMANN WAGNER zu einem peinlichen, wenn auch durch einer Gegenstoß verdeckten Rückzugsgefecht auf den Plan gerufen, ohne daß ihm freilich allgemeines Gehör beschieden war (1). Dort hatte er (S. 118) ausgeführt, daß in den Ephemeriden REGIOMONTANS die zur Breitenbestimmung bei Tage erforderlichen Deklinationstsafeln der Sonne nicht enthalten sind, sich vielmehr in einem anderen Werk REGIOMONTANS finden, den "Tabulae directionum profectionumque", ferner daß der Jakobsstab - wie seit langem bekannt - auf LEVI BEN GERSON (+1344) zurückgeht, daß auch seine Verwendung in der Seefahrt zur Polhöhenbestimmung erst von PEDRO NUNES 1537 erwähnt wird, der ihn freilich ebenfalls für eine Erfindung von REGIOMONTAN hielt (S.224-26). Die zwischendurch (S. 113) ausgesprochene, aber nicht näher begründete Überzeugung, daß BEHAIM in den mit Entdeckungsplänen beschäftigten Kreisen Portugals eine unzweifelhafte Bedeutung gehabt habe, darf uns nicht irreführen, da S. 171 wiederholt wird, daß die BEHAIM-Frage als nunmehr erledigt ganz ausscheide! Ergänzend kann vermerkt werden, daß, wenn REGIOMONTAN's Deklinationstabellen je von Einfluß gewesen wären, deren Maximaldeklination von 23° 30' hätte in Erscheinung treten müssen. Das ist aber nicht der Fall, die von ABRAHAM ZACUTO, die im "Regimento do Estrolabio", bei FRANCISCO FALEIRO und PEDRO NUNES haben alle wie schon ROBERTUS ANGELICUS für 1292-95 (secundum Albateam) 23ng° 33', CAMORANO 1588 hat sogar 28° wie TOSCANELLI.

Es darf also in Zukunft nicht wieder gesagt werden, M. BEHAIM habe den Portugiesen die Ephemeriden REGIOMONTANS und dessen Jakobsstab zugebracht und sie damit zu ihren Entdeckungen befähigt, auch nicht in der Maske bloßer Vermutung, etwa wie erst neuerdings geschehen: "... was lag näher, als sein technisches Wissen und Können in den Dienst der potugiesischen Schiffahrt zu stellen... mit der neuen Methode des verbesserten Jakobsstabes... usw." Das ist zwar keine Behauptung, aber doch eine Suggestion, die genau so lächerlich wirkt, wenn sie, wie in diesem Beispiel, in keiner Weise fundiert ist.

Leider ist das Werk von E.G. RAVENSTEIN (dem ersten mit der Victoria-Goldmedaille der Royal Geographical Society ausgezeichneten Gelehrten) "Martin BEHAIM, his Life und his Globe", London 1908, so gut wie ganz unbeachtet geblieben. Es ist eine mit kaum zu überbietender Gründlichkeit, unter Heranziehung aller erdenklichen Quellen und - trotz gegenteiliger Andeutung von deutscher Seite - mit einwandfreier Objektivität durchgeführte Untersuchung des gesamten vielfältigen Fragenkomplexes, die auch H. WAGNER nicht entkräften konnte.

Wegen der Nennung von REGIOMONTAN ist auch die Heranziehung einiger Publikationen seines Biographen ERNST ZINNER, des Direktors der Bamberger Sternwarte, nötig (2). In der erstgenannten bestätigt er (S. 21), daß die Überbringung der Ephemeriden und des Jakobsstabes durch BEHAIM bloße Vermutung sei, und sagt weiter, daß die Ephemeriden wie auch die Tabulae durch Behaim bloße Vermutung sei, und sagt weiter, daß die Ephemeriden wie auch die Tabulae directionum (mit den Deklinationstabellen) schon vor 1478 in Portugal bekannt waren und daß der Jakobsstab von REGIOMONTAN - wie übrigens auch von LEVI BEN GERSON (d. Verf.) - zur Ermittlung von Sternabständen benutzt wurde. In dem zweiten Werk sind auf Taf. 44 der Jakobsstab von GERSON und der nur durch Aufsetzen von Stiften verbesserte von REGIOMONTAN abgebildet, und auf S. 158 erfahren wir auch dessen Größe: fünf bis sechs Ellen und darüber!!

Seither sind auch von portugiesischer Seite neuere Untersuchungen über die Reise erschienen, die Behaim auf seinem Globus beschreibt. Sie sind enthalten in dem Jubiläumswerk "Historia da Expansao Portuguese no Mundo" (Gesch. der portugiesischen Ausbreitung in der Welt), Lissabon, 1938, vol.I und wichtig wegen der Aufklärung gewisser Zeitdifferenzen. Nach dem Globus war BEHAIM am 18. Januar 1485 am Kap Negro, könnte also nicht am 18. Februar schon zum Empfang des Ritterschlages wieder in Lissabon gewesen sein. Auf S. 371/2 wird in einer langen Fußnote der bekannte Widerspruch zwischen den beiden Inschriften auf dem erhaltenen Pfeiler vom Kap Cross damit erklärt, daß in der portugiesischen das laufende Jahr genannt wird, in der lateinischen dagegen die Zahl der schon vergangenen ("... fluxerunt..."). Hierzu ist noch auf Richard Hennig, "Terrae Incognitae", IV, 348, zu verweisen, wo auf die derzeit vielfach verschiedenen Jahresanfänge verwiesen und eine andere Lösung angeboten wird. Auf S. 372 des portugiesischen Werkes wird in Note 5 der Nachweis erbracht, daß Diogo Cão, der Führer der Expedition, in Portugal begraben liegt, also nicht, wie die Weltkarte von Henricus Martellus vermerkt, an der Umkehrstelle gestorben sein, mithin auch nicht Behaim das Geschwader heimgeführt haben kann. Ferner wird, abweichend von Ravenstein S. 22, nachgewiesen, daß die Fahrt den Kongo hinauf bis zu den Steinen, auf denen die Namen der Teilnehmer (ohne Behaim !) eingegraben sind, erst auf der Rückreise stattfand (von diesen Steinen ist eine fotografische Reproduktion beigegeben). Schließlich ist noch auf eine erstmalige fotografische Abrollung der ganzen Oberfläche des Globusses im Ibero-Amerikanischen Archiv 1943, Heft 1/2 zu verweisen, die den Vorteil bietet, jeden Lesefehler auszuschließen. Vgl. dazu die Besprechung in der Deutschen Literaturzeitung 1948 Heft 6.

Wir stehen bezüglich M. Behaim's vor der ungewöhnlichen Tatsache, daß von allem, was sein meist erst postumer Ruhm, nicht nur in Deutschland und Portugal, sondern auch in England verkündete, nichts beweisbar ist, während gewichtige Gründe dagegen sprechen. Wir müssen die merkwürdige Wahrnehmung machen, daß Martin Behaim als Kosmograph etc. gepriesen wird, in der Familie dagegen sein 16 Jahre jüngerer Bruder als Astrologe galt (3), während alle Bemühungen Ravensteins, ähnliches für Martin zu ermitteln, vergeblich waren. Fest steht nur, daß Martin für den kaufmännischen Beruf bestimmt war, ein Jahr nach dem Tode des Vaters nach Mecheln in die Lehre gegeben wurde, dann in Antwerpen tätig war und von dort 1484 aus unbekannten Gründen nach Portugal ging, dort alsbald zu hohen Ehren kam und feierlich zum Ritter (4) geschlagen und in die Junta der Mathematiker aufgenommen wurde, weil er "sich rühmte" (!) ein Schüler von REGIOMONTAN zu sein. Es ist bemerkenswert, daß BARROS, der einzige portugiesische Historiker, der das berichtet, nicht einfach sagt, weil er dessen Schüler "war", als hätten sich Zweifel ergeben. Jedenfalls aber schickt der König Behaim auf die Reise mit DIOGO CÃO, die Behaim auf seinem Globus, ohne den Namen des Führers zu nennen und ohne näheres über seinen eigenen Auftrag anzudeuten, in einer Form beschreibt, als habe er als Gesandter des Königs den Auftrag gehabt, die für die Mohrenkönige bestimmten kostbaren Geschenke zu übergeben.

Ein solcher Aufstieg eines jungen Ausländers, wenngleich aus altem Patriziergeschlecht, an einem Königshofe war so ungewöhnlich, daß die Kunde auch ins Ausland drang und die Phantasie in Bewegung brachte. Einziger Ansatzpunkt dafür war sein Ruf als Schüler eines berühmten Astronomen. Nach "Purchas his pilgrimage" 1626 sollte der König BEHAIM beauftragt haben, seine Piloten die Breitenbestimmung aus Sonnenhöhen mit dem Astrolabium zu lehren, das bis dahin nur von Astrologen benutzt worden sei - für den Kenner ohnehin eine Groteske, zudem dadurch widerlegt, daß das Astrolabium spätestens 1481 bei der Reise von AZAMBUJA nach Guinea bezeugt ist. Jede derartige Vermutung verdichtete sich zur Gewißheit und wurde durch immer neue Vermutungen Unkundiger erweitert, bis schließlich BEHAIM eine eigene Deklinationstabelle berechnet haben sollte - also in Konkurrenz mit seinem Lehrer! Er wurde zum "Sternenrechner", der DIOGO CÃO als Kosmograph beigegeben sein sollte, um nun auf der Südhalbkugel mit dem "Wunderwerk" des Jakobsstabes die Breitenmessungen durchzuführen. Damit kommen wir zu seinem Globus, der füglich den Beweis für seine Fähigkeiten als Kosmograph liefern müßte. In der ersten Legende (im Atlantik unter dem Äquator) sagt er, in dieser Figur des Apfels sei ausgemessen die ganze Welt nach Länge und Breite "nach Kunst Geometria, die uns Ptolemäus...". Damit ist der Maßstab gegeben, den wir anlegen dürfen. Der Anfangsmeridian ist graduiert. Danach hat er den Kongo statt auf 6 auf 23 Grad angesetzt und Kap Negro auf ungefähr 37 statt 15 1/2 Grad. Fehler von rund 17 bzw. 22 Grad sind keine Kleinigkeit und haben schon in der Allgemeinen Deutschen Biographie 1875 zu Zweifeln an Behaims Fähigkeiten Anlaß gegeben. Auch der Umbruch der in Wirklichkeit stetig weiter verlaufenden Küste bei Kap Negro nach Osten ist eine Unmöglichkeit; was nicht ist, kann nicht beobachtet worden sein. Man hat versucht, diese Mängel mit der Rücksichtnahme auf die portugiesische Geheimhaltungspolitik zu entschuldigen. Das war nur eine Verlegenheitsbegründung und hat uns den berechtigten Spott eines amerikanischen Gelehrten zugezogen. Man hätte aber ins Auge fassen sollen, daß der Globus gar nicht in allen Punkten ein Werk von Behaims eigener Hand, vielmehr nach Ausweis der Rechnungslegung von HOLZSCHUHER (RAVENSTEIN S. 112) nach einer gedruckten (!) "mapa mundy, da die gantze welt ina wegriffen Ist, die da wol dint zu dem apffel und in die Kantzley gehenkt wirtt..." gezeichnet ist, die sich Behaim auch hat bezahlen lassen. Danach war auch GLOCKENTHON der "maller von der Kugel", nicht nur der Miniaturbilder, die unmöglich 13 Wochen erfordert hätten. Behaim hat nach seinen eigenen Worten in der einleitenden Legende (s. oben) "darbey ich, der diesen apffel angegeben hat, gewesen bin" nur "angegeben", ein Wort, das in der langen Autorlegende wiederkehrt. Westafrika zeigte auch nicht, wie man erwarten sollte, seine in den Portolankarten längst festgelegte im Bogen ausholende Küste, sondern die ptolemäische Form. Es könnte also sein, daß er, entgegen seinem zitierten Vorspruch (ausgemessen nach Kunst Geometria), gar nicht beabsichtigt hatte, das von den Portugiesen neu gewonnene Weltbild im Sinn einer Tabula moderna zu Ptolemäus darzustellen. Dann wäre er nicht für die bezeichneten groben Fehler verantwortlich zu machen. Damit wären aber seine kosmographischen Fähigkeiten noch nicht bewiesen. Vor allem der angebliche Auftrag, DIOGO CÃO als Kosmograph zu begleiten, bliebe eine bloße Vermutung und dürfte keinesfalls weiterhin so vorbehaltlos behauptet werden, da es wieder mangelnde Fähigkeit der Portugiesen einschließen würde. Es darf nicht übersehen werden, daß auch für die Südhalbkugel der Bann schon durch die bis 13 1/2° Süd reichende erste Fahrt von Cão gebrochen war und er dafür nach der Rückkehr geadelt wurde, auch der einzige ist, der entgegen dem Brauch zum zweiten Male auf die Reise geschickt wurde.

Nach der deutschen Ausgabe von Schedels Weltchronik soll Behaim der Führer der einen Karavelle gewesen sein (RAVENSTEIN S. 24). Das erhaltene lateinische, in sauberer Fraktur geschriebene Ms. zeigt diese Mitteilung als Einschiebsel in einer flüchtigen Schrift, die aber nicht die wohlbekannte Handschrift von Schedel ist, und RAVENSTEIN meint, daß sie noch am Ende von Behaims Anwesenheit in Nürnberg hineingekommen und Behaim dafür verantwortlich sei. Dem steht aber entscheidend entgegen, daß wie schon betont, BEHAIM nur von seiner Teilnahme spricht, aber nie eine Andeutung über einen höheren Auftrag macht, ferner daß darin erst recht sein Name auf den erwähnten Steinen am Kongo nicht fehlen durfte.

Noch ein Wort zum Globus. Während der Zeit in Fayal könnte Behaim intensive Studien getrieben haben, aber die nötigen Aufzeichnungen über die mannigfaltigen älteren Autoren für die zahlreichen Legenden wird er kaum mitgenommen, vielmehr in der gedruckten Karte vorgefunden haben, außer den Legenden im Atlantik könnte er noch die lange im Indischen Ozean über die Verteuerung der Spezereien durch die vielen Zwischenstationen aus eigener kaufmännischer Erfahrung verfaßt haben. Alle bekannten mit den Ptolemäusausgaben verbundenen Weltkarten sind lateinisch gefaßt, und eine deutsche Karte von solchem Reichtum wäre auch für unser Vorstellungsvermögen ein völliges Novum. Dann bliebe die Übersetzung BEHAIMS bedeutendes Verdienst. Es wäre nur zu wünschen, daß sich endlich die Erkenntnis durchsetzte, daß dieser Globus nicht der erste überhaupt, sondern der älteste, erhaltene Erdglobus ist, auch für lange Zeit der reichhaltigste.

Namhafte Verdienste BEHAIMS um die portugiesische Krone können und sollen nicht bestritten werden, nur bleiben sie eben weiterhin ein Geheimnis. König Johann II hat ihm auch seine Gunst bis an sein Lebensende bewahrt, hat sogar den bekannten Brief von HIERONYMUS MÜNTZER, in dem er dem König Martin Behaim für Entdeckungsfahrten empfiehlt, aus dem Lateinischen ins Portugiesische übersetzen lassen und zur Veröffentlichung (als Anhang zum Traktat von SACROBOSCO über die Weltkugel) freigegeben. Auf seinen Nachfolger Manuel hat sich freilich diese Gunst nicht übertragen (RAVENSTEIN S. 52).

Bei solcher Lage der Dinge ist auch das neueste Nachschlagewerk, die Neue Deutsche Biographie von 1955, recht unbefriedigend, weil wieder BEHAIM die Reise als Kosmograph mitgemacht haben soll und die in der ersten Auflage von 1875 beanstandeten Breitenfehler zu bloßen Ungenauigkeiten verkleinert werden, alles das, obschon RAVENSTEIN unter den Quellen angegeben ist. Der Globus wird eher als ein Zeitdokument denn als eine überragende Leistung charakterisiert. Daß BEHAIM früher überschätzt worden sei, fällt nebenbei mit ab. - Sehr zu beklagen ist in einer Abhandlung, ebenfalls von 1955, aus der eingangs einige Worte zitiert sind, die Behauptung, aus der obengenannten Rechnungslegung, in der zweimal deutlich von einer gedruckten Karte gesprochen wird, werde außerdem bekannt, daß BEHAIM auch eine Erdkarte hergestellt (!!!) habe, deren Erdbild auf den Globus übertragen worden sei. Wie eine solche Entstellung möglich war, ist unverständlich, da dieselbe Quelle (PETZ) wie bei RAVENSTEIN angegeben wird.

Fußnoten

(1) WAGNER, HERMANN: "Die Entwicklung der wissenschaftlichen Nautik im Zeitalter der Entdeckungen". Annalen der Hydrographie und Maritimen Meteorologie, 1918, S. 106ff.

(2) a) ZINNER, ERNST: "Die fränkische Sternkunde im 11. bis 16. Jahrhundert". Festschrift der Naturforschenden Gesellschaft zu Bamberg, 1934.
b) Ders.: "Leben und Wirken des Johannes Müller von Königsberg, genannt Regiomontanus". München 1938.

(3) ZINNER, ERNST: a.a.O. [2a] S.20.

(4) RAVENSTEIN begründet eingehend, warum es nicht der Christusorden gewesen sein kann und daß auch das Familienporträt dessen Abzeichen zeigt.


Guenther Goerz
Last modified: Sat May 09 18:15:00 MET 1998