Österreichische und süddeutsche Humanisten als Geographen und Kartographen

Helmuth Grössing

In: Bott, G.; Willers, J. (Hrsgb.): Focus Behaim-Globus. Referate des internationalen Kolloquiums im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg - 5.4.-6.4.1990, Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Nürnberg, April 1991.

Das Wort "Humanismus" etikettiert ene Gruppe von Gelehrten, Dichtern, Künstlern, Staatsmännern, Hofleuten und auch Dynasten, die sich den "Studia humanitatis" hingaben, mit mehr oder minder viel Eifer und Können, stets darauf bedacht, dem, was man mit einer Begriffsbildung des beginnenden 19. Jahrhunderts "Humanismus" bezeichnet, gerecht zu werden: der Philologie zu dienen, die überlieferten Texte der griechisch-römischen Antike, sowohl in "geisteswissenschaftlicher" wie auch in "naturwissenschaftlicher" Hinsicht, kritisch "gereinigt" zu edieren, die Wahrheit in den Texten zu suchen (1). Anders gesagt: Wissenschaft ist für den Humanisten die Philologie, Wissenschaft und Methode zugleich. Das gilt auch für den naturwissenschaftlich orientierten Humanisten, der Buchgelehrter war und erst in der Spätphase der humanistischen Bewegung, in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts, sich der Beobachtung, dem Experiment, der Empirie im weitesten Sinne zu widmen begann. Sicherlich hatte es bereits im 15. Jahrhundert Humanisten gegeben, die sich methodisch-gezielt den Realien zugewandt hatten, dieses Jahrhundert kann ja geradezu als eine Epoche des Aufbruchs zu den Naturwissenschaften angesehen werden, der, vornehmlich in der Astronomie und Kosmologie, in der Folgezeit zu großen Erkenntnissen und Entdeckungen führen sollte (2). Die eigentliche Wende in den Wissenschaften von der Natur vollziehen aber nicht mehr die Humanisten von jenem Typ, der in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts vorherrschend war, ja der um 1500 jene humanistische Geisteshaltung prägte, die man durchaus mit modernen Modebewegungen vergleichen kann und die zum Gemeingut der intellektuellen Führungsschichten im Europa dieser Zeit wurde (3).

Der Humanismus hielt mit einiger Verspätung - einem durchaus bezeichnenden Trend - in den Universitäten und Höfen nördlich der Alpen seinen Einzug. Freilich schlossen sich vornehmlich die Hohen Schulen noch lange gegenüber dem "humanista" ab, oft weniger aus grundsätzlicher Ablehnung der Ciceronianer als vielmehr aus machtpolitischen und pekuniären Gründen. Man wollte die Pfründen unter sich behalten.

In Wien tritt etwa 80 Jahre nach der Universitätsgründung Enea Silvio Piccolomini, der spätere Papst Pius II., auf und "belehrt" die Wiener Universitätslehrer darüber, was ein Italiener unter Humanismus versteht - dabei gehörte Enea Silvio sicherlich nicht zu den Humanisten erster Kategorie (4). Gleichwohl hat die Rede des Praeceptor Austriae dazu beigetragen, daß es zu Beginn der fünfziger Jahre des 15. Jahrhunderts an der Wiener Universität einige bescheidene Versuche gegeben hat, den Humanismus hier zu installieren. An der Artistenfakultät haften Magistri begonnen, über lateinische Klassiker wie Vergil, Juvenal und Ovid, beziehungsweise Pseudocicero zu lesen (5). Piccolomini selbst hatte sich am Wiener Neustädter Kaiserhof einen Kreis von Eleven geschaffen, die ihn als Magister elegantiarum, als nacheiferungswerten Meister der lateinischen Sprache und des urbanen Stils verehrten. Am Rande in diesen Kreis integriert war auch der hervorragende Astronom und Mathematiker Georg (Aunpeckh) von Peuerbach, dessen Briefe als Stilmuster kursierten und der auch als Verfasser lateinischer Gedichte hervorgetreten ist (6). Peuerbach, der mit Johannes von Gmunden und dem genialen Mainfranken Johannes Müller, genannt Regiomontanus, als Hauptvertreter der sogenannten 1. Wiener mathematischen Schule gilt, hat als erster Gelehrter in Österreich die "Studia humaniora" mit den naturwissenschaftlichen Studien (traditioneller, universitärer Prägung) in Verbindung gebracht und eine Synthese beider gesucht (7). Dasselbe gilt übrigens auch von seinem Schüler Regiomontanus, der 1457 in Wien das Magisterium erlangt hatte und hauptsächlich Vergil las (8). Beider Hauptverdienst, mit welchem sie vor der Geschichte bestehen können, nämlich ihre naturwissenschaftlichen Arbeiten und Leistungen, war sozusagen Privatsache. Peuerbach hatte seine Planetentheorien nur an der Wiener Bürgerschule vorgetragen, dort hat sie Regiomontanus auch in sein sogenanntes "Wiener Rechenbuch" geschrieben, das heute zu den Zimelien der Österreichischen Nationalbibliothek zählt (9).

Die Wiener Universität nahm erst ab jenem Jahr der Zweiten Gründung (1384) einen bemerkenswerten Aufschwung. Maßgeblich dafür war der aus Paris angereiste Heinrich (Heinbuche) von Langenstein, ein Hesse, den das Schisma der Kirche aus Paris vertrieben hatte (10). Langenstein war Theologe, aber auch ein vortrefflicher Naturwissenschaftler, der wohl als erster astronomische Gerätschaften wie Astrolabium, Quadrant und Jakobsstab nach Wien gebracht hatte. Der 1396 in Wien verstorbene erste Rektor der Gesamtuniversität muß als Begründer der 1. Wiener mathematischen Schule angesehen werden, der, wiewohl nicht direkt, aber über Mittelsmänner Johannes von Gmunden beeinflußt hat, der seinerseits in ähnlicher Weise auf Georg von Peuerbach gewirkt hat.

Von Johannes von Gmunden wissen wir, daß er Himmelsbeobachtungen angestellt hat. Er hatte von einem Turm des Collegium ducale, eines zur Universität gehörigen Hauses, das heute ein Teil des Baukomplexes des Jesuitenkollegiums ist, beobachtet. Mit Sicherheit weiß man von diesem ersten Wiener "Observatorium" jedenfalls durch die beiden bayerischen Humanisten und Astronomen Andreas Stiborius und Johannes Angelus, die davon zu Beginn des 16. Jahrhunderts berichten (11).

Johannes von Gmunden ist sicherlich auch der Autor jenes schönen kleinen elfenbeinernen Quadranten, den man heute in der Sammlung für Plastik und Kunstgewerbe im Wiener Kunsthistorischen Museum sehen kann. Dieser Quadrant zeigt auf einer Seite die Vokaldevise Kaiser Friedrichs III. ("AElOU") und diente dem Kaiser zur Bestimmung der Tageszeit, die er wohl selbst vornehmen konnte. Das Astrolabium war zur Zeit des Johannes von Gmunden bereits ein altbewährtes Instrument in Wien und Süddeutschland. In diesem Zusammenhang wäre auch auf das vor 1457 nach Anweisungen des Georg von Peuerbach hergestellte Astrolabium hinzuweisen, das sich heute im Germanischen Nationalmuseum befindet (12). In zwei Medaillons unter dem Haltering und einer Rosette ist der österreichische Bindenschild und das Wappen Wiens dargestellt. Mit der lateinischen Rezeption der "Geographia" des Ptolemaeus setzte eine neue Phase der Kartographie in Österreich ein. Viel dazu beigetragen haben einige Scholastiker, aber dann auch Humanisten, die vornehmlich die sogenannten Cartae modernae propagiert haben, die Verbesserungen gegenüber Ptolemaeus anstrebten.

Die "Geographia" des Claudius Ptolemaeus in der lateinischen Fassung (1409) ist nachweisbar in Stift Klosterneuburg in der 1. Hälfte des 5. Jahrhunderts präsent, es existieren einige Abschriften, die sich heute z.T. in der Stiftsbibliothek, zum Teil in der Österreichischen Nationalbibliothek befinden (13). Georg von Peuerbach war wohl zu Anfang der vierziger Jahre des 15. Jahrhunderts, bevor er sich 1446 an der Universität Wien immatrikulierte, Eleve an der Stiftsschule Klosterneuburg (14), wo er sowohl mit Johannes von Gmunden wie auch mit dem aus Prag kommenden Reinhard Gensfelder Kontakt gehabt haben konnte (15). Damals bereits und auch später noch mag Peuerbach auch mit Fridericus Gerhart zusammengetroffen sein. Fridericus war übrigens einer der ersten namentlich bekannten Algebraiker nördlich der Alpen und hat in der Kunst der Coss (Algebra) Peuerbach und Regiomontanus beeinflußt (16).

Dieser Fridericus wird von Ernst Bernleithner fälschlich mit dem Verfasser einer Karte in Verbindung gebracht, die Bernleithner mit 1421 datiert (17). Mit Dana B. Durand neige ich der Auffassung zu, daß diese Karte unter der Leitung von Reinhard Gensfelder von 1440 bis 1442 in Klosterneuburg entstanden ist und so etwas wie eine "Klosterneuburg Central Europe map" (wie Durand sagt) war (18). Es handelt sich hierbei um eine Art Rumbenkarte, deren Null-Strahl ("Meridian" wäre unrichtig zu sagen) durch Hallein in Salzburg und Klosterneuburg geht (19). Erhalten geblieben ist nur eine Koordinatenliste von 703 Orten Mitteleuropas von Lothringen bis zur Westslowakei, von Brandenburg bis zur Lombardei sowie Gewässerskizzen und -verläufe (20). Die Karte war vermutlich südorientiert, die Mitarbeit des Johannes von Gmunden und Peuerbachs wird angenommen, weil im Münchener Codex die Koordinaten des Ortes Peuerbach sowie des oberösterreichischen Traunsees und der Traun als Gewässerskizze aufgenommen sind.

Einen erneuten Aufschwung erlebte die österreichische und süddeutsche Kartographie an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert. Beigetragen hierzu hat u.a. Konrad Celtis. Celtis muß wohl als Haupt der 2. Wiener mathematischen Schule angesehen werden, obwohl seine eigenen "naturwissenschaftlichen" Leistungen in erster Linie rezeptiv beziehungsweise didaktisch waren (21). Die überragende Stellung gegenüber den Wiener humanistischen Naturwissenschaftlern um 1500 sicherte sich der deutsche Erzhumanist durch die Instituierung des Wiener "Collegium poetarum et mathematicorum", der ersten humanistischen Hochschule Deutschlands, die in ihrem Programm das humanistische Bildungsziel zu verwirklichen bestrebt war.

Im Auftrage des Königs hatte Celtis eine Maximilian gehörige Bibliothek (Bibliotheca regia) eingerichtet und mit Werken griechischer, lateinischer und sonstwie "außergewöhnlicher" Autoren ("exoticis autoribus") ausgestattet (22). Celtis hatte aber auch nicht vergessen, naturwissenschaftliche Werke, die Maximilian um 1503/04 angekauft hatte, aufzustellen. Dabei kommt zur Sprache, daß Celtis größere Globen ("globi non parvi") und Himmels- wie Erdkarten dieser Bibliothek einverleibt hatte (23). Diese letztere Nachricht läßt darauf schließen, daß diese "Bibliotheca regia", deren Agenden Celtis übertragen wurden, auch für den Unterrichtsgebrauch des "Collegium poetarum et mathematicorum" eine geeignete Grundlage abgaben.

Und Celtis wird dann selbst (wahrscheinlich um 1504) zum Lehrer der humanistischen Naturwissenschaft, der "Mathematik" im Sinne seiner eigenen Institution. Er kündigt der "Akademie", der er sozusagen als Plato Teutonicus vorsteht, eine mathematisch-geographische Vorlesung an, die acht Bücher der Geographie des Ptolemaeus:

"Morgen, wenn die achte Stunde Cynthius anzeigt
Und der rötliche Schein leuchtet im gelblichen All
Dann wird in meiner Behausung die Cosmographia beginnen
Die uns in Büchern acht Claudius der Große verfaßt.
In drei Sprachen werde ich, Celtis, diese erläutern
Nämlich in Griechisch, Latein, und in der deutschen zugleich"
(24).

Diese Verse geben Aufschluß über die Unterrichtsart des Celtis. Es ist interessant zu erfahren, daß Celtis doch, wahrscheinlich zum besseren Verständnis einer für den jungen Schüler sehr neuen und schwierigen Materie, im Unterricht sich auch des Deutschen bediente.

Ich möchte abschließend noch auf einige Humanisten und Kartographen aus dem Wiener Celtis-Kreis zu sprechen kommen: Johannes Stabius (gest. 1522) darf mit Recht als einer der maßgeblichen Wegbereiter der modernen Kartographie angesprochen werden (25). Mit der in der neueren Literatur sogenannten "polständigen Kegelprojektion", die mit seinem und dem Namen des Nürnbergers Johannes Werner verbunden ist, steht Stabius am Beginn der modernen mathematischen Geographie (26). Bei diesen Gradnetzentwürfen handelt es sich um die bekannten herzförmigen Weltkarten, die in den ersten Dezennien des 16. Jahrhunderts in Gebrauch waren. Der faire Hinweis Werners (27), daß Stabius der Erfinder dieses Gradnetzentwurfes sei, sichert Stabius ein wichtiges Urheberrecht. Nach Wilhelm Wolkenhauer soll Stabius bereits 1502 diese Art der Kugelverebnung vorgeschlagen haben (28), die Priorität der Veröffentlichung kommt aber zweifelsohne dem Venezianer Bernardus Sylvanus (Bernardo da Sylva) zu, der 1511 in einer Ptolemaeus-Ausgabe das Konstruktionsprinzip der herzförmigen Weltkarte als erster nachweisbar angewandt hatte.

Am Rande vermerkt sei, daß Anton Steinhauser im Jahre 1885 die Stabius-Projektion wiederentdeckt und in Grundzügen auf ihr kartographisches Prinzip hingewiesen hat (29). Er schlägt die Herstellung einer modifizierten Stabius-Projektion vor - Auflösung der spitz zulaufenden Südhälfte der Weltkarte in vier Lappen, die sich der Nordhälfte der Weltkarte entsprechend anschmiegen. Die starke Verzerrung der Südhalbkugel der originalen Stabius-Werner-Projektion macht diese Art des Gradnetzentwurfes für die kartographische Praxis uninteressant; nichtsdestoweniger bleibt er jedoch der Versuch eines Vorstoßes über die von den antiken Schriftstellern fixierten Grenzen des Denkens hinaus und insofern die Pioniertat eines Humanisten auf dem Gebiet der mathematischen Geographie, der in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts die epochemachenden Leistungen eines Gerhard Mercator, speziell mit der nach ihm benannten Zylinderprojektion, folgten.

Johannes Cuspinianus (Spießhaimer) aus Franken war Kosmograph "im Sinne des Celtis" und zugleich eines der führenden Mitglieder des Wiener Celtis-Kreises (30). Er zählte in den ersten Dezennien des 16. Jahrhunderts zu den ersten deutschen Humanisten. Neben vorwiegend philologisch-historischen Interessen hatte er stets auch das Geographisch-Landeskundliche im Auge, ganz nach dem Vorbild des Konrad Celtis, dessen Gedächtnis Cuspinian im Jahre 1510 unter anderem durch Anbringung eines epigraphischen Denkmals an seinem Wohnhaus ehrte (31). Als Kartograph erwarb sich Cuspinianus vor allem Verdienste um die Herausgabe der ersten gedruckten Ungarn-Karte im Jahre 1528. Autor dieser Karte ist ein Lazarus (Eleazarus) Secretarius, der vielleicht mit Lazarus Resetus, dem Sekretär des Erzbischofs von Gran-Esztergom, identisch ist (32). Mitautor der Ungarnkarte war Jakob Ziegler (Lateranus), ein anderer Celtis-Schüler (33). Georg Tannstetter Collimitius hatte diese Karte verbessert und ein Kaiserliches Privileg für die Herausgabe erhalten (34). Cuspinian selbst hat vornehmlich die Aufgabe des Herausgebers (Verlegers?) übernommen, doch stammen von ihm auch einige historische Legenden auf der Karte und - nach eigener Aussage - die Lozierung der Trajansbrücke an der unteren Donau.

Eine humanistische Ausbildung mit mathematischen Akzenten hatte der Diplomat und Reichsfreiherr Siegmund von Herberstein (1486-1566) erfahren, der im Jahre 1502 in Wien das artistische Bakkalaureat erworben hatte (35). Herberstein ist vor allem bekannt durch seine MOSCOVIA, jene berühmte historische Landschaftsbeschreibung des Großfürstentums Moskau, das er in zwei Gesandtschaftsreisen in den Jahren 1516 und 1526 aufgesucht hatte. Die MOSCOVIA, ist der erste größere, weitgehend auf unmittelbarer Anschauung basierende Bericht über das Moskoviterreich, von dem man im westlichen Europa ein nur lückenhaftes, unzulängliches Wissen besaß.

Die beschreibende Geographie Rußlands und teilweise Asiens hatte durch die MOSCOVIA einige Kenntnisse hinzugewonnen. Aus einer Reisebeschreibung lernte Herberstein den Verlauf der sibirischen Ströme Ob und Irtysch kennen, die in seiner erstmals von Augustin Hirsfogel 1549 gestochenen Rußlandkarte aufscheinen. Herberstein bestätigte auch die bereits vom Krakauer Professor Miechowski 1517 geäußerte Vermutung von der Nichtexistenz der Ripäischen oder Hyperboräischen Gebirgsschwelle, die von den Alten (Plinius, Ptolemaeus, Strabo, Sallust) angenommen worden war und sich auch noch in der Weltkarte von Stabius-Dürer aus dem Jahre 1515 findet. Den Ob ließ Herberstein, wohl in Anlehnung an den erwähnten Reisebericht, in einem See namens "Kythay" entspringen, an dessen Ufer "Cumbalick", die Hauptstadt von "Kythay" (China), liegt. Durch diese falsche, die Distanzen erheblich verkürzende Nachricht soll die Handelsschiffahrt der Niederländer und Engländer angeregt worden sein.

Zuletzt soll noch eines österreichischen Produkts der Kartographie des 16. Jahrhunderts Erwähnung getan sein, das vor einigen Jahren in einem Wiener Antiquariat aufgetaucht ist (36). Es ist die älteste erhalten gebliebene kartographische Darstellung des österreichischen Bundeslandes Niederösterreich, entstanden um 1540/50 und gewissermaßen ein Gemeinschaftswerk österreichischer Humanisten, im speziellen von Mitgliedern des Wiener Celtis-Kreises. Von Ladislaus Sunthaym und Johannes Stabius, Georg Tannstetter und Johannes Cuspinianus sind Elemente in dieses Kartenwerk eingeflossen, das mit großer Wahrscheinlichkeit als jene Karte zu identifizieren ist, die als Beilage zu Cuspinians Österreichbuch ("Austria", 1553 erschienen) gedacht war, aber nicht mitabgedruckt worden ist (37).

Wegweisend für den Wiener und österreichischen, aber auch süddeutschen Humanismus wurde das Wirken des "mathematisierenden" Poeten Konrad Celtis, dessen Wiener Kreis sowie die damit in Verbindung zu bringende 2. Wiener mathematische Schule des beginnenden 16. Jahrhunderts das charakteristische Signum im Geistesleben Wiens war. Als Vorstand des durch Urkunde Maximilians I. am 31. Oktober 1501 gegründeten "Collegium poetarum et mathematicorum" übte Celtis eine Art Direktorium über Poeten ("Geisteswissenschaftler") und Mathematiker ("Naturwissenschaftler") aus. Er besaß das Recht der Dichterkrönung und hatte die Befugnisse des landesfürstlichen Superintendenten im Collegium inne. Das Collegium hatte nur kurze Lebensdauer und löste sich nach dem Tode des ersten gekrönten deutschen Poeten rasch auf. Die Idee freilich war vorbildhaft und hatte in ganz Europa Konsequenzen. Die 2. Wiener mathematische Schule war an der Universität Wien institutionell bereits fest verankert, so daß sie über das Ende des Celtis-Collegiums hinaus weiter bestand und in Andreas Stiborius, Johannes Stabius, Georg Tannstetter, Johannes Cuspinianus, Joachim Vadianus, Johannes Angelus u.a. hervorragende Repräsentanten und Protagonisten der humanistischen Idee und, wie wir gehört haben, auch bedeutende und wegweisende Kartographen hervorgebracht hatte.

Anmerkungen

(1) Helmuth Grössing: Humanistische Naturwissenschaft. Zur Geschichte der Wiener mathematischen Schulen des 15. und 16. Jahrhunderts (Saecvula Spiritalia Bd. 8, hrsg. von Dieter Wuttke). Baden-Baden 1983, S. 17-64. Zum Problemgeschichtlichen in neuerer Sicht auch Dieter Wuttke: Humanismus als integrative Kraft. Die Philosophie des deutschen Erzhumanisten Conrad Celtis. Eine ikonologische Studie zu programmatischer Graphik Dürers und Burgkmairs. In: artibus et historiae 6, Nr. 11 , 1985, S. 65-99. Gegen diese globale integralhumanistische Sicht wendet sich vor allem Paul Oskar Kristeller.

(2) Helmuth Grössing: Johannes Angelus. In: Archiv der Geschichte der Naturwissenschaften 18, 1988, S. 789-792; über Angelus auch Eberhard Knobloch: Astrologie als astronomische Ingenieurkunst des Hochmittelalters. Zum Leben und Wirken des Iatromathematikers und Astronomen Johannes Engel (vor 1472-1512). In: Sudhoffs Archiv 67, 1983, S. 129-144.

(3) Die Wende vom geozentrischen zum heliozentrischen Weltmodell, die mit dem Namen des Kopernikus verbunden ist, wäre besser als "Keplersche Wende" zu bezeichnen, war es doch vornehmlich das 1. Keplersche Gesetz, das mit der antiken kosmologischen Tradition zum ersten Mal gebrochen hatte.

(4) Helmuth Grössing: Die Wiener Universität im Zeitalter des Humanismus von der Mitte des 15. bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts. In: Das alte Universitätsviertel in Wien 1385-1985 (Schriftenreihe des Universitätsarchivs, Bd. 2) Wien 1985, S. 37-45.

(5) Paul Uiblein: Die Wiener Universität und ihre Magister zur Zeit des Regiomontanus. In: Regiomontanus-Studien (Österr. Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. K., Sitzungsberichte, Bd. 364) Wien 1980, S. 395-432.

(6) Über Peuerbach. H. Grössing (Anm. 1) S. 79-116; Helmuth Grössing: Astronomus Poeta. Georg von Peuerbach als Dichter. In: Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Stadt Wien, 35, 1979, S. 123-134.

(7) Zusammenfassung der neuesten Forschungsergebnisse in: Der Weg der Naturwissenschaft von Johannes von Gmunden zu Johannes Kepler. Hrsg. von Günther Hamann und Helmuth Grössing (Österr. Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Kl., Sitzungsberichte, 497). Wien 1988.

(8) Ernst Zinner: Leben und Wirken des Johannes Müller aus Königsberg, genannt Regiomontanus. Osnabrück, 2. Aufl. 1968; Regiomontanus-Studien (Anm. 5). Als Ergänzung H. Grössing (Anm. 1) . S. 117-126 und Rudolf Mett: Regiomontanus in Italien (Österr. Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Kl., Sitzungsberichte Bd. 520). Wien 1989, S. 3-24.

(9) Österreichische Nationalbibiiothek, Handschriften- und Inkunabelsammlung, Cod. 5202, fol. 24r-53v.

(10) Zu Langenstein, einem der hervorragendsten deutschen Spätnominalisten Hubert Pruckner: Studien zu den astrologischen Schriften des Heinrich von Langenstein (Studien der Bibliothek Warburg, Bd. XIV). Leipzig-Berlin 1933. - Ernst Zinner: Entstehung und Ausbreitung der Copernicanischen Lehre. Erlangen 1942, S. 79-84. - H. Grössing (Anm. 1), S. 71 -76. - Georg Kreuzer- Heinrich von Langenstein (Studien zur Biographie und zu den Schismatraktaten unter besonderer Berücksichtigung der Epistola pacis und der Epistola concilii pacis (Quellen und Forschungen aus dem Gebiet der Geschichte, N.F.6). Paderborn 1987.

(11) Helmuth Grössing: Johannes Angelus. In: Archiv der Geschichte der Naturwissenschaften 18, 1988, S. 789-792; über Angelus s. auch Eberhard Knobloch: Astrologie als astronomische Ingenieurkunst des Hochmittelalters. Zum Leben und Wirken des Iatromathematikers und Astronomen Johannes Engel (vor 1472-1512). In: Sudhoffs Archiv 67, 1983, S. 129-144.

(12) Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, W.l. 129.

(13) Klosterneuburg, Stiftsbibliothek Sign 683; Österreichische Nationalbibliothek, Handschriften- und Inkunabelsammlung, Cod. 3162 und 5266.

(14) H. Grössing (Anm. 1), S. 79.

(15) Reinhard(us) Gensfelder, OSB, wurde um 1385 in Nürnberg geboren und ist zwischen 1450 und 1457 in Tegernheim bei Regensburg gestorben. 1400 Studium in Prag, 1408 Magister Artium, 1409 in Padua, 1433 und 1441 in Wien und Klosterneuburg, 1444 Pfarrer in Tegernheim. Biographie bei H. Grössing (Anm. 1), S. 272.

(16) Wolfgang Kaunzner: Über Regiomontanus als Mathematiker. In: Regiomontanus-Studien (Anm.5), S. 125-145.

(17) Ernst Bernleithner: Die Klosterneuburger Fridericuskarte von etwa 1421 (Kartengeschichte und Kartenbearbeitung). Bad Godesberg 1968, S. 41 -44.

(18) Dana B. Durand: The Vienna Klosterneuburg map corpus of the fifteenth century. Leiden 1952.

(19) Rekonstruktion bei E. Bernleithner (Anm. 18), S. 44.

(20) In dem von Fridericus Gerhart beschriebenen Codex latinus Monacensis l4.583 der Bayerischen Staatsbibliothek, München.

(21) Zu Celtis vor allem Dieter Wuttke: Conradus Celtis Protucius (1459-1508). Ein Lebensbild aus der Zeit der deutschen Renaissance. In: Philologie als Kulturwissenschaft. Festschrift für Karl Stackmann. Hrsg. von Ludger Grenzmann, Hubert Herkommer, Dieter Wuttke. Göttingen 1987, S. 270-286. Im speziellen H. Grössing (Anm. 1), S. 147-170.

(22) Ernst Trenkler: Die Frühzeit der Hofbibliothek (1368-1519).In: Geschichte der österreichischen Nationalbibliothek. Wien 1968, S. 25-26.

(23) E. Trenkler (Anm. 22), S. 26.

(24) Konrad Celtis, Fünf Bücher Epigramme. Hrsg. von Karl Hartfelder, Berlin 1881. Deutsche Nachdichtung von H.G. Ep. V/11: "Cynthius octavam cras postquam ostenderit umbram / Et croceo rutilum sparserit orbe iubar / Cosmographia mea tunc incipietur in aede / Quam magnus scribit Claudius ocio libris. / Hanc ego per triplicem Celtis reserabo loquel am / Romanom, Graiam Teutonicamque simul."

(25) Helmuth Grössing: Johannes Stabius. Ein Oberösterreicher im Kreis der Humanisten um Kaiser Maximilian I. In: Mitteilungen des oberösterreichischen Landesarchivs 9, 1968, S. 239-264; und als Ergänzung H. Grössing (Anm. 1), S. 170-174.

(26) So bei Hugo Hassinger: Österreichs Anteil an der Entdeckung der Erde. Wien 1950, S. 34. Es handelt sich bei der Stabius-Werner-Projektion um eine mit dem Mittelpunkt im Pol liegende "unechte Azimutalprojektion". Eine ähnliche Projektion liegt bei der "Bonneschen Projektion" vor, die nach dem französischen Geographen und Kartographen Rigobert Bonne (1727-1795) benannt ist.

(27) Im Vorwort der lateinischen Ausgabe des 1. Buches der "Geographia" des Ptolemaeus, Nürnberg 1514.

(28) Wilhelm Wolkenhauer: Leitfaden zur Geschichte der Kartographie in tabellarischer Darstellung. Breslau 1895.

(29) Anton Steinhauser: Stabius redivivus. Eine Reliquie aus dem 16. Jahrhundert. In: Zeitschrift für wissenschaftliche Geographie 5, 1885, S. 289.

(30) Zur Biographie Cuspinians Hans Ankwicz-Kleehoven: Der Wiener Humanist Johannes Cuspinianus. Graz-Köln 1959.

(31) In Wien 1., Singerstraße 10.

(32) Über die Identität des Lazarus Secretarius gibt es kontroverse Auffassungen zwischen Ernst Bernleithner: Der Autor der ältesten Ungarnkarte und seine Mitarbeiter. In: Mitteilungen der Österreichischen Geographischen Gesellschaft 116, 1974, S. 178- 183, und László Bendefy: Wer war der Autor der ältesten Ungarnkarte? In: Mitteilungen der Österreichischen Geographischen Gesellschaft 117, 1975, S. 424-426.

(33) Jakob Ziegler (Lateranus), etwa 1470-1549. Ein von Wolf Huber gemaltes Porträt Zieglers befindet sich im Kunsthistorischen Museum Wien.

(34) Zu Tannstetter zuletzt Franz Stuhlhofer: Georg Tannstetter (Collimitius), Astronom, Astrologe und Leibarzt bei Maximilian I. und Ferdinand I. In: Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Stadt Wien 27, 1981, S. 7-49.

(35) Zu Herberstein Christine Harrauer: Die zeitgenössischen lateinischen Drucke der Moscovia Herbersteins und ihre Entstehungsgeschichte (Ein Beitrag zur Editionstechnik im 16. Jahrhundert). In: Humanistica Lovaniensia 3l, 1982, S. 141-163. - Christine Harrauer: Beobachtungen zur Darstellungsweise und Wahrheitsanspruch in der Moscovia Herbersteins. In: Landesbeschreibungen Mitteleuropas vom 15. bis 17. Jahrhundert (Schriften des Komitees der Bundesrepublik Deutschland zur Förderung der Slawischen Studien, Bd. 5). Köln-Wien o.J., S. 183-206. - Helmuth Grössing: Sigmund Freiherr von Herberstein. In: Archiv der Geschichte der Naturwissenschaften (im Druck).

(36) Die Karte wurde von einem niederösterreichischen Industriebetrieb erworben und der Österreichischen Nationalbibliothek, Karten- und Globensammlung, übergeben.

(37) Die Karte wurde wissenschaftlich bearbeitet von Karlheinz Krug: Die älteste erhalten gebliebene kartographische Darstellung des Landes Niederösterreich. In: Mitteilungen der Österreichischen Gesellschaft für Geschichte der Naturwissenschaften 9, 1989, S. 62-73.


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