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Martin Behaim. His Life and his Globe

Ernest George Ravenstein

London: George Philip & Son, 1908

With a Facsimile of the Globe printed in Colours. Eleven Maps and seventeen Illustrations

H. 39,4 cm, Br. 31,5 cm

Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Sign. Bg. 1348 h (= Buch Nr. 111 von insgesamt 510)

Das umfassendste und in seinem wissenschaftlichen Wert bis heute gültige Werk zu Martin Behaim und dessen 'Erdapfel' verfaßte der Geograph und Kartograph Ernest George Ravenstein (1834 - 1913). Im ersten Teil zeichnet Ravenstein den Lebenslauf Behaims anhand aller verfügbaren Quellen nach und untersucht dabei systematisch alle Behauptungen, Spekulationen und Vermutungen, die bis dahin zu Behaims Leben und Leistungen angestellt wurden, auf ihre Stichhaltigkeit, d.h. Belegbarkeit. Hierbei konzentriert sich Ravenstein auf folgende Punkte:

Behaim und die 'Junta dos Mathematicos', Behaim als Regiomontanus - Schüler, als Astronom und Instrumentenbauer, Behaims Meeresfahrt(en), Behaims Ritterschlag, Behaim und Kolumbus, Behaim und Magellan, Behaim und die Entdeckung Amerikas.

Genannte Themenfelder gaben seit jeher zu Spekulationen Anlaß, gerade weil für besagte Umstände keine Dokumente existieren. Ravenstein kann hier zeigen, daß Behaim, vor dem Hintergrund einer äußerst dürftigen Quellenlage häufig in fast grotesker Weise überschätzt wurde.

Ravensteins weitere wesentliche Arbeit bestand in der ausführlichen Bearbeitung des Erdglobus, im zweiten Teil seines Buches. Ravenstein erläutert die Geschichte des Globus, betrachtet kritisch die bislang verfertigten Facsimile 'in Solido' und 'in Plano', er führt die literarischen Quellen für den Erdglobus auf und er versucht, den Globus kartographiegeschichtlich einzuordnen. Vor allem aber unternimmt Ravenstein eine kritische Lesung der Globusaufschriften mit einer bis dahin nicht gekannten Genauigkeit und Vollständigkeit. Dem Werk beigegeben ist ein vollständiger Satz von farbig gedruckten Globussegmenten, die ein komplettes Facsimile im Verhältnis 1:1 wiedergeben (s. Kat.-Nr. 3.39). Grundlage für dieses Facsimile war jedoch nicht das Original des 'Erdapfels' in Nürnberg, sondern die Pariser Kopie, die 1847 für die Bibliothek der Pariser Bibliothèque Nationale angefertigt wurde (vgl. Kat. -Nr. 3.35). Ravenstein gesteht die damit verbundenen Mängel selbstkritisch ein.

Trotz dieser Mängel setzt die Arbeit Ravensteins für die wissenschaftliche Beschäftigung mit Behaim und seinen Globus einen neuen Standard. Wissenschaftsgeschichtlich nicht unerheblich ist die Tatsache, daß Ravensteins Behaim - Buch, vor allem im deutschsprachigen Raum, lange Zeit unbeachtet blieb.

Zum geringeren Teil mag dies daran liegen, daß das Buch nur in 510 Exemplaren gedruckt wurde und daher nicht sehr verbreitet ist. Gewichtiger scheint jedoch der Umstand zu sein, daß Ravensteins Herkommen und sein radikal quellenorientierter, d.h. in diesem Falle entmystifizierender Anspruch auf Ablehnung stieß.

Ernst Georg Ravenstein war Sohn des bekannten Frankfurter Verlegers August Ravenstein (1809 - 1881), der 1830 die 'Ravensteinsche Geographische Verlagsanstalt und Druckerei GmbH' begründete. Der Sohn Ernst Georg ging sehr früh nach England und war bereits mit 21 Jahren Mitarbeiter der topographischen Abteilung des Kriegsbüros. Eine Stellung, die er 20 Jahre innehielt (1855 - 1875). Ravenstein war zudem der erste Träger der Königin Victoria Gold-Medaille der Royal Geographical Society (1902). E.G. Ravenstein hatte also in der Zeit des Imperialismus, als man die Welt plan(!)mäßig aufteilte, eine wichtige und durchaus hochpolitische Aufgabe. Allerdings arbeitete er für das englische Imperium, nicht für das wilhelminische Deutschland. Ein Umstand, der ihn möglicherweise verdächtig machte, der jedenfalls dazu beitrug, daß seine Behaim-Monographie von deutscher Seite bisweilen als "voreingenommen" abqualifiziert wurde. Eine echte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Ravensteins Behaim-Arbeit erfolgte nie. Als Wahl-Engländer und Nicht-Nürnberger war Ravenstein vermutlich unbefangener, am Image eines deutschen National- bzw. Stadt-Heroen zu kratzen. Wissenschaftlich war diese Distanz jedoch nur von Vorteil für die Sache selbst. Außerhalb Deutschlands fand die Behaim - Arbeit Ravensteins durchaus Anerkennung insofern, als in einigen Enzyklopädien der kritische Standpunkt Ravensteins übernommen wurde. So etwa in der 'Enciclopedia Italiana' von 1930 und vor allem in der 'Grande Enciclopedia Portugesa e Brasileira'. Es folgten die 'Encyclopedia Britannica' und die 'Grande Encyclopédie'. Immerhin wurde auch im 'Großen Brockhaus' von 1929 die skeptische Position Ravensteins abgedruckt. Die Regiomontanus-Schülerschaft wird darin angezweifelt. Zudem sei Behaims Ritterschlag nicht wegen besonderer nautischer Verdienste erfolgt, sondern wegen besonderer Beziehungen zum portugiesischen Königshof, ist im Behaim-Artikel des Brockhaus zu lesen. Ein Artikel übrigens, der ziemlich folgenlos blieb. Erst nach dem zweiten Weltkrieg fand Ravenstein innerhalb Deutschlands wissenschaftliche Beachtung und Wertschätzung, angeregt durch Heinrich Winter (1959) und Otto Berninger (1959).

Wer sich heute wissenschaftlich mit Behaims Leben und Werk beschäftigt, für den ist die Lektüre von Ravensteins Behaim-Monographie unerlässlich.

Literatur:

Der Große Brockhaus, Bd.II, Leipzig 1929, S.463.

Heinrich Winter: Martin Behaim. Geschichte und Legende. In: Die Erde - Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin 90, 1959, S.359-362.

Otto Berninger: Martin Behaim zur 500. Wiederkehr seines Geburtstages am 6. Oktober 1459. In: Mitteilungen der Fränkischen Geographischen Gesellschaft Erlangen 6, 1959 (1960), S.142.

Biographische Daten zu Ravenstein Vater und Sohn in Websters Biographical Dictionary. Springfield, Mass., 1948.

P.J.B.