3.49
Geschichte des Seefahrers Ritter Martin Behaim nach den ältesten vorhandenen Urkunden bearbeitet
Friedrich Wilhelm Ghillany
Nürnberg: Bauer & Raspe 1853
H. 36 cm, Br. 31,5 cm
Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Sign. Bg 1347 a
Wenn auch Christoph Gottlieb von Murr (s. Kat. -Nr. 3.47) als erster bemüht war, im Falle Behaim quellenorientiert vorzugehen, so muß der Beginn der eigentlich wissenschaftlichen Behaimforschung mit dem Werk des Stadtbibliothekars zu Nürnberg Friedrich Wilhelm Ghillany (1807 - 1876) angesetzt werden.
Sein umfangreiches Buch erscheint 11 Jahre nach einer ersten kleineren Arbeit zu M. Behaim und dessen Globus (vgl. Kat. -Nr. 3.48). Die Beschäftigung mit Leben und Werk Behaims ist auf die Tätigkeit Ghillanys als Stadtbibliothekar, zwischen 1840 - 1856, zurückzuführen. Die Betreuung der städtischen Sammlung gehörte zu seinen Dienstaufgaben. U.a. befanden sich wissenschaftliche Instrumente aus dem Regiomontan-Nachlaß in der Sammlung, ebenso der große Schöner-Globus von 1520.
Seiner Behaim-Schrift vorangestellt ist die Abhandlung 'Über die ältesten Karten des Neuen Continents und den Namen Amerika', die der damals wohl berühmteste Naturforscher und Universalgelehrte Alexander von Humboldt verfaßt hatte. Ghillany bezieht sich in seiner Auffassung des öfteren auf die Autorität des großen Gelehrten. Die Betonung der nautischen Verdienste, die Ghillany ins Zentrum seiner Behaim - Würdigung rückt, geht zweifellos auf Alexander von Humboldt zurück. In seinem Werk zur Entdeckungsgeschichte des amerikanischen Kontinents von 1836 schreibt Humboldt von Behaims Astrolab, als ob dieses Gerät dessen Erfindung gewesen wäre. Humboldt spricht Behaim, den er als Kosmographen bezeichnet, zudem die Vereinfachung des Regiomontan'schen Meteoroskops zu. Ghillany teilt in diesem Punkt nicht ganz die Ansicht Alexander von Humboldts, doch hält auch er Behaims Einfluß auf Entdeckungsgeschichte der beginnenden Neuzeit für maßgebend. Martin Behaim wird hier u.a. die Erfindung oder Verbesserung oder zumindest die praktische Anwendung des Astrolabiums für die portugiesische Seefahrt zugeschrieben, eine Freundschaft mit Columbus für wahrscheinlich gehalten und die Schülerschaft zu Regiomontanus nicht bezweifelt. Ghillany trug also mit dieser ersten wissenschaftlichen Arbeit dazu bei, Behaim als Innovator auf dem Gebiet der Navigationstechnik zu stilisieren und stellte mit der Behauptung einer Freundschaft zwischen Kolumbus und Behaim eine Beziehung zwischen dem Nürnberger und der Entdeckung Amerikas her. Ghillany, ein durchaus leidenschaftlicher Anhänger der 48er Bewegung, betont das 'Deutschtum' Behaims und er ist damit der erste deutsche Wissenschaftler, der behauptet, daß Behaim und damit deutsche Wissenschaft die Grundlage für den entdeckerischen Erfolg der Portugiesen bildeten. Dieser Blickwinkel und die zum Ausdruck gebrachte Wertschätzung hatte im Deutschland zu Mitte des 19. Jahrhunderts durchaus einen revolutionären Beigeschmack. Die Verbindung Behaim und Deutschtum und die Betonung deutscher Leistung für die Entdeckung der Welt, hat sich, wenn auch unter anderen Vorzeichen bis in unsere Zeit vor allem im populären Bereich nur unwesentlich verändert, auch wenn sie wissenschaftlich längst nicht mehr haltbar ist.
Der Einfluß Behaims auf die Entwicklung der portugiesischen Navigationstechnik wird nicht nur von portugiesischen Wissenschaftlern bestritten. Eine Schülerschaft Behaims bei Regiomontanus wird durch keinerlei Dokumente oder durch den Nachweis entsprechender Kenntnisse Behaims belegt. Eine Bekanntschaft oder gar eine Freundschaft Behaims mit Kolumbus ist nirgendwo bezeugt. Daß sich die beiden möglicherweise in Lissabon getroffen haben ist nicht völlig ausgeschlossen. Auszuschließen ist allerdings die Behauptung, Kolumbus wäre erst durch Behaim auf den Gedanken gekommen, nach Westen zu segeln, womit Martin Behaim das Verdienst zuzusprechen wäre, der eigentliche, der "geistige Entdecker Amerikas" zu sein. Zum Zeitpunkt einer möglichen Begegnung, frühestens 1484/85, war der Plan einer Westfahrt in Kolumbus längst gereift. Zudem konnte Kolumbus auf eine vieljährige seemännische Erfahrung zurückblicken, wohingegen nicht das geringste Indiz auf navigatorische Kenntnisse des jungen Kaufmanns Behaims hindeutet. Das Astrolabium, das Ghillany großformatig abbildet und als verbessertes Regiomontansche Astrolabium von 1468 bezeichnet, ist, wie neuere Forschungen zeigen, nicht von Regiomontanus hergestellt worden, es befand sich lediglich in seinem Besitz (s. Kat. -Nr. 1.77). Es ist auch nicht verbessert, sondern lediglich vereinfacht worden. Zudem ist kein einziges Astrolabium, das Regiomontan jemals herstellte, für die Navigation auf hoher See verwendbar. Aus purer Unkenntnis wurde in der Vergangenheit, nicht nur von A. v. Humboldt und Ghillany, die Bedeutung solcher Geräte für die europäische Seefahrt des 15. und 16. Jahrhunderts vollkommen falsch eingeschätzt.
Verdienstvoll ist an der Arbeit Ghillanys, neben der Einarbeitung aller damals bekannten Literatur, die Abschrift zahlreicher Originaldokumente, vor allem von Briefen, die im Anhang abgedruckt werden.
Von seiner Globus-Abbildung behauptet Ghillany, es läge damit erstmals ein komplettes und zuverlässiges Facsimile in plano vor, zudem seien alle Globusaufschriften wortgetreu übertragen. Eine Übertreibung zweifelsohne. Ravenstein geht in seiner Arbeit (1908) auf die enthaltenen Fehler und Mängel im Detail ein.
Literatur:
Alexander von Humboldt: Kritische Untersuchungen über die historische Entwicklung der geographischen Kenntnisse von der Neuen Welt und die Fortschritte der nautischen Astronomie in dem 15ten und 16ten Jahrhundert, Bd. I. Berlin 1836.
Ernest George Ravenstein: Martin Behaim. His Life and his Globe. London 1908, S.61f.
Zur Person Ghillanys und zum geistesgeschichtlichen Hintergund seiner Zeit: Gerhard Pfeiffer: Friedrich Wilhelm Ghillany. Ein Typus aus dem deutschen Bürgertum von 1848. In: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 41, 1950, S.155-255.
P.J.B.